taz.de -- Kommentar Gauck in Frankreich: Der gute Deutsche

In Oradour ist die deutsch-französische Freundschaft wiederbelebt worden. Hollande und Gauck haben dazu auf die Kraft der Dialektik der Geschichte gesetzt.
Bild: Gauck, Hollande (l) und der Überlebende und Zeitzeuge von Oradour-sur-Glane Robert Hebras (r).

Der „gute Deutsche“ hat in Frankreich jetzt einen Namen. Die Französinnen und Franzosen kannten ihn bisher nicht mal vom Hören her, jetzt heißt er Joachim Gauck. Damit ist der dreitägige Staatsbesuch des deutschen Bundespräsidenten als Goodwill-Tour durch Frankreich wohl bereits ein voller Erfolg.

Gauck hat in Oradour-sur-Glane die Worte gefunden, die die Opfer der NS-Verbrechen sich erhofft haben dürften. Er sprach vom Entsetzen und einem kollektiven Gefühl der Schuld vor der Geschichte, betonte aber auch, dass [1][die Deutschen der Gegenwart nicht für die Vergangenheit belangt werden sollen]. Er verkörpert laut Gastgeber François Hollande „das heutige Deutschland, das der Nazi-Barbarei von gestern ins Gesicht schauen kann“.

Mit einem solchen Freibrief der erfolgreichen Vergangenheitsbewältigung war es für Gauck ein Leichtes, die Rolle des „nice guy“ zu übernehmen. Nicht nur in der delikaten Konfrontation mit der deutschen Besatzung in Frankreich, sondern auch in der Tagespolitik.

Im Unterschied zu Merkel, die in Frankreich regelmäßig als politisches Ärgernis betrachtet wird, hatte Gauck allein schon aufgrund seiner beschränkten politischen Zuständigkeiten kaum eine Gelegenheit, der französischen Politik in die Quere zu kommen oder das (manchmal etwas übertriebene) Selbstbewusstsein der Franzosen durch besserwisserische Kritik an deren Haushaltspolitik zu schmälern. Das hinderte Gauck nicht, mit der nötigen Diskretion freundschaftliche Ratschläge zu erteilen. Auch in dieser Hinsicht entpuppte sich der unbekannte Gast als „anderer Deutscher“.

Das darf aber nicht die Hauptsache verdecken: In der Gedenkstätte Oradour-sur-Glane ist die deutsch-französische Freundschaft nach etlichen Rückschlägen wegen Meinungsverschiedenheiten in der Krisenpolitik gestärkt und wiederbelebt worden. Hollande und Gauck haben dazu auf die Kraft der Dialektik der Geschichte gesetzt. Im Gedenken der Gräuel, die diese beiden Nationen auf Dauer unversöhnlich trennen müssten, haben sie die Chance zu einer Einstimmigkeit in der richtigen Tonlage gefunden, über die nur verbitterte Zyniker spotten können.

5 Sep 2013

LINKS

[1] /Joachim-Gauck-auf-Versoehnungstour/!123174/

AUTOREN

Rudolf Balmer

TAGS

Joachim Gauck
Francois Hollande
SS-Massaker
Schwerpunkt Frankreich
Waffen-SS
Joachim Gauck
Joachim Gauck
NSA
Joachim Gauck

ARTIKEL ZUM THEMA

Verfahren gegen SS-Mann abgelehnt: Vorwürfe nicht nachweisbar

Das Landgericht Köln lehnt ein Verfahren gegen 89-Jährigen wegen mutmaßlicher Beteiligung am Massaker in Oradour-sur-Glane 1944 ab.

Joachim Gauck auf Versöhnungstour: Schlussstrich per Umarmung

Joachim Gauck besucht mit François Hollande Oradour, wo 1944 SS-Männer über 600 Menschen ermordeten. Heute sei Deutschland „gut“, sagt er.

SS-Massaker in Italien: Die Stille von Sant'Anna

Am 12. August vor 69 Jahren ermordete die SS fast alle Bewohner eines Dorfes in der Toskana. Enrico Pieri überlebte. Vor kurzem erhielt er hohen Besuch.

Kommentar Joachim Gauck: Präsident im Blindflug

Gauck sorgt sich um die Wahlbeteiligung und ist über den NSA-Skandal beunruhigt. Den Zusammenhang zwischen beidem will er aber nicht sehen.

Der Bundespräsident und die NSA-Affäre: Gauck plötzlich in Unruhe

Bundespräsident Joachim Gauck äußert sich besorgt über die Lauschangriffe der US-Geheimdienste. Es bestehe die Gefahr, dass die Freiheit beschädigt werde.