taz.de -- Elias Bierdel über Flüchtlingsrettung: „Die Marine ist nicht da, um zu helfen“
Mit der „Cap Anamur“ rettete Elias Bierdel afrikanische Flüchtlinge – und sollte dafür in Italien ins Gefängnis. Er spricht von einem „unhaltbaren Widerspruch“.
taz: Herr Bierdel, Italien hat seine Militärpräsenz im Mittelmeer verstärkt, um weitere Flüchtlingsunglücke zu verhindern. Ein richtiger Schritt?
Elias Bierdel: In der Tat ist unmittelbares Handeln erforderlich. Die Frage ist nur, ob verstärktes Militär den Menschen helfen wird.
Warum nicht? Italien hat die frühere Praxis der direkten Zurückweisungen doch offenbar derzeit eingestellt.
Elias Bierdel: Erstens sind Kriegsschiffe für die Seenotrettung kleiner Schlauchboote schon technisch völlig ungeeignet. Es bräuchte vielmehr Einheiten, die ausgestattet sind wie etwa die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Zweitens war es bislang keineswegs das Problem, dass die Boote nicht gesehen worden wären. Das italienische Militär spielt da eine überaus unrühmliche Rolle. Das Mittelmeer ist seit Jahren eine hochmilitarisierte Zone, als Teil des „Kampfes gegen den Terror“. Da wird jedes Boot registriert. Doch die Marine ist nicht da, um zu retten.
Sondern?
Ich kenne Fälle, in denen die Marine gegen Fischer vorgegangen ist, die Schiffbrüchige an Bord hatten. Man nimmt in Kauf, dass viele sterben, um Retter davon abzuhalten, Flüchtlingen in Seenot zu helfen.
Die italienische Regierung ist erst seit sechs Monaten im Amt, nach dem letzten Unglück ist die Debatte durchaus in Bewegung geraten. Verdient sie keinen Vertrauensvorschuss?
Die Reaktion des italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta war schon außergewöhnlich. Er ist niedergekniet, hat Staatstrauer für die Toten angeordnet. Gleichzeitig steht Seenotrettung noch immer als Beihilfe zur illegalen Einreise unter Strafe. Deswegen sind wir damals auch mit der „Cap Anamur“ vor Gericht gelandet. Das ist ein absolut unhaltbarer Widerspruch.
Italien verbindet die Ankündigung seiner Militäroperation mit einem Appell an Europa: Die Union müsse die Staaten an den Außengrenzen stärker unterstützen.
Länder wie Deutschland müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sie die gerechte Verteilung von Flüchtlingen in Europa blockiert. Solange sie dies tun, wird es für Malta und Italien immer einen Grund geben, die Flüchtlinge im Stich zu lassen. Gleichzeitig brauchen wir endlich die Öffnung legaler Wege für Schutzsuchende. Das ist eine europäische Frage, da hat Letta völlig recht. Und wenn die EU darauf keine angemessene Antwort findet, werden wir unweigerlich mehr Tote haben.
15 Oct 2013
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