taz.de -- Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann …
… gerät wieder in alte Fahrwasser. „Schwul = Kinderficker“ war eine Gleichung, die noch vor ein paar Jahrzehnten absolut geläufig war.
… gerät wieder in alte Fahrwasser. „Schwul = Kinderficker“ war eine Gleichung, die noch vor ein paar Jahrzehnten absolut geläufig war. Dann brachten die Schwulenbewegung, die Homo-Ehe und die Aussicht auf die Gleichstellung homo- und heterosexueller Paare einen Bilderwechsel. Doch seit dem medialen Kreuzzug gegen alles, was sich mit dem Präfix „Pädo“ verbinden lässt, tauchen die überholt geglaubten Vorurteile wieder auf am Horizont.
Bei der derzeitigen Schlacht geht es nicht um die Aufarbeitung einer historischen Situation, nicht darum, Zeitenläufte zu analysieren, um sie zu verstehen (und sie deswegen noch lange nicht gutzuheißen). Stattdessen werden dringend Namen benötigt und Gesichter, Täter allesamt, Monster, die überreif sind für die Titelseiten. Dabei gibt es natürlich kein Pardon, keine Differenzierung, alles wird bestimmt allein durch den Schaum vor dem Mund. Man ist sich sicher, auf der besten aller Seiten zu stehen.
Wie weit der Irrsinn geht, demonstrierte unlängst Adam Soboczynski in der Zeit. Seine Schuldigen in der Pädophilen-Gemengelage: die 68er. Falsch gewesen sei ihre Annahme, die Nachkriegszeit habe die repressive Sexualmoral der Nazis fortgesetzt und sei nur mit der sexuellen Befreiung zu kontern gewesen. In dieses – so der Autor – quasi antifaschistische Projekt „konnten unversehens auch pädophile Positionen eingespeist werden“.
Im Weiteren könnte man gar den Eindruck gewinnen, es sei in sexueller Hinsicht unter den Nazis doch nicht alles schlecht gewesen. Es habe ja durchaus bemerkenswerte „sexuelle Befreiungs- und Emanzipationsprojekte“ gegeben: Pin-ups im SS-Kampfblatt Das Schwarze Korps, Wehrmachtsbordelle in besetzten Gebieten, Erleichterung von Bigamie, Scheidung und Wiederheirat.
Und auf einem Nürnberger Parteitag paradierten die jungen Männer der Hitler-Jugend mit nacktem Oberkörper vor ihrem Führer (behauptet Soboczynski unter Berufung auf Antoni Graf Sobanski). Auch dies ein „Emanzipationsprojekt“ der Nazis? Das Dritte Reich ein einziges Homo-Paradies? Gedrillte Jungmännerbrüste – ein Zeichen für tolerierte Homosexualität?
Welch zynischen Blick wagt Soboczynski hier auf die Lage homosexueller Männer im Nazi-Deutschland? Zur Erinnerung: Der Antischwulen-Paragraf 175 wurde 1935 drastisch verschärft, Schwule wurden verfolgt, inhaftiert, Tausende von ihnen kamen in Konzentrationslager, wurden gefoltert, ermordet.
Offensichtlich Petitessen, die Soboczynski nicht hindern, von der „sexuellen Entfesselung in der Nazi-Zeit“ zu schwärmen. Im Kampf gegen Pädophilie wird alles instrumentalisiert, sei es noch so dumm. „Wem dient diese Politisierung der Schuld, dieser Boulevardjournalismus der gebildeten Stände?“, fragt Spiegel-Online-Kolumnist Georg Diez in seiner Replik auf den Zeit-Text, ohne eine exakte Antwort darauf zu geben. Nach diesem kruden Sexcocktail bleibt aber eine ganz andere Gleichung zurück, die noch länger verschütt gegangen war als die von den schwulen Kinderfickern: „Schwul = Nazi“.
21 Oct 2013
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