taz.de -- Das vergessene Rezept: Triumph in Blätterteig

Als die Grünen vor 30 Jahren in den Bundestag einzogen, verlor ein Mann eine Wette. Und musste lernen, feindliche Küchengeräte zu bezwingen.
Bild: 1983: Die Grünen freuen sich. Der Vater unseres Autors kocht.

Mit Sieg und Niederlage hat dieses Gericht zu tun. Wenn die Legende stimmt, dann hat sich der britische Feldmarschall Arthur Wellesley (genannt „Wellington“), nachdem er die Schlacht gegen Napoleon in Waterloo gewonnen hatte, ein Rinderfilet in Blätterteig servieren lassen. Seither trägt es seinen Namen. So viel zur Weltgeschichte.

Meine persönliche Geschichte geht anders: Es ist das Jahr 1983, die Bundestagswahl steht vor der Tür. Erstmals scheinen die Grünen eine Chance zu haben, ins Parlament nach Bonn einzuziehen. „Niemals“, pöbelt mein Vater am sonntäglichen Abendtisch, „niemals schaffen die das!“ Meine studentischen Freunde und ich pöbeln zurück: „Du hast keine Ahnung!“

Das bis dahin friedliche Abendessen drohte zu eskalieren, bis eine Wette die Gemüter beruhigte: Sollten es die Grünen über die Fünfprozenthürde schaffen, muss mein Vater an der Volkshochschule einen Kochkurs belegen und allen an diesem Abend Anwesenden ein Menü servieren. Schaffen sie es nicht, wird er in ein Lokal seiner Wahl eingeladen.

Mein Vater und Kochen. Ein Spiegelei zu braten überforderte ihn. Er schüttete Nudeln in kaltes Wasser. In seinem Leben hatte er noch nie etwas Komplizierteres zubereitet als ein Butterbrot.

Der triumphale Einzug der Grünen in den Bundestag vor dreißig Jahren verschaffte dem Männer-Kochkurs der Reutlinger Volkshochschule, 350 Kilometer weiter südlich, einen zusätzlichen Kursteilnehmer. Über mehrere Wochen hinweg verließ mein Vater jeden Mittwochabend das Haus, um seine Wut über den Erfolg der Grünen in Form von Schnittlauch klein zu hacken oder als Schnitzel flach zu klopfen. Wettschulden waren ihm Ehrenschulden.

Wir dagegen waren gespannt, was er uns am Ende auftischen würde. Er erzählte nicht viel, nur dass die anderen Männer ihn merkwürdig angeschaut hätten, als die Reihe an ihm war zu erzählen, warum er diesen Kurs mache. Einer war Witwer geworden, ein anderer wollte seine Frau überraschen, ein Dritter hatte sich scheiden lassen.

Eine Mischung aus Rührung und Bewunderung

Dann kam der Tag der Tage, und mein Vater trug jenes Filet Wellington wie eine Trophäe von der Küche ins Wohnzimmer, eingehüllt in einer Champignon-Farce und in Blätterteig. Dazu gab es von Hand geschabte Spätzle mit einer Madeirasauce.

Es war eine Mischung aus Rührung und Bewunderung, die ihm von seiner Frau, von mir, von meinen Freunden entgegenschlug, auch wenn der eine oder andere vielleicht schon ahnte, dass sich hier gerade ein Mensch an den Rand der totalen Erschöpfung gekocht hatte. Er hatte eine persönliche Niederlage in einen grandiosen Sieg verwandelt.

Es war und blieb das einzige Gericht, das mein Vater in seinem Leben gekocht hat. Er betrat danach nie wieder die Küche, jedenfalls nicht, um zu kochen.

Man findet das Filet Wellington übrigens kaum noch auf Speisekarten. Es ist heutigen Chefköchen offenbar nicht raffiniert genug. Dabei ist es gar nicht so einfach: Es muss innen noch rosa oder gar ein wenig blutig sein (Waterloo!), die Farce kann durch Gänseleber aufgewertet werden und bei den Beilagen ist kaum ein Gemüse fehl am Platz.

Meinem Vater geht es in diesen Tagen nicht gut. Er wird nicht mehr lange leben. An diesem Wochenende werde ich ihm wahrscheinlich ein Filet Wellington servieren.

Das vergessene Rezept, weitere Autoren: Undine Zimmer kocht mit dem, was im Kühlschrank übrig blieb; die Köchin Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, und der taz-Koch Christoph Esser beantwortet die Fragen der Leser zur Hardware des Kochens unter [1][fragdenkoch@taz.de]

10 Nov 2013

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Philipp Mausshardt

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