taz.de -- Freizügigkeit in Europa: Gremium prüft Armutsmigration

Die CSU hat mit ihrem Gehetze gegen Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien eine heiße Debatte angestoßen. Ein Ausschuss von Staatssekretären geht dem nun nach.
Bild: Die CSU argumentiert, dass Migraten aus Osteuropa für einige Städte eine Belastung sei.

BERLIN dpa | Die Debatte über angebliche Armutszuwanderer aus Südosteuropa beschäftigt nun ein eigenes Gremium der Bundesregierung. Das Bundeskabinett setzte dazu am Mittwoch einen Staatssekretärs-Ausschuss ein. Die Runde soll prüfen, ob und wie die Regierung gegen einen möglichen Missbrauch von Sozialleistungen durch Bürger anderer EU-Staaten vorgehen sollte.

Ausgelöst hatte die Debatte die CSU, die anlässlich der Öffnung des Arbeitsmarkts für Rumänen und Bulgaren vor einer verstärkten Armutszuwanderung warnt. Seit dem 1. Januar gilt für Bulgaren und Rumänen die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU. Das heißt, sie können auch in Deutschland unbeschränkt Arbeit suchen.

Die CSU beschreibt mit dem Begriff Armutszuwanderer gering qualifizierte Migranten, die nach Einschätzung der Partei in Deutschland vor allem Sozialleistungen in Anspruch nehmen wollen, aber kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Die Partei will ihnen den Zugang zum deutschen Sozialsystem erschweren. SPD und Opposition werfen der CSU Populismus vor.

Experten halten es für ungerechtfertigt, pauschal von Armutszuwanderung aus Bulgarien und Rumänien zu sprechen. Nach Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung waren zur Jahresmitte 2013 nur 0,6 Prozent der Hartz-IV-Bezieher Bulgaren und Rumänen. Obwohl die Zuwanderer aus diesen Ländern im Schnitt geringer qualifiziert sind, lag die Arbeitslosenquote für beide Nationalitäten Mitte 2013 unter dem Schnitt der Gesamtbevölkerung und deutlich unter der anderer Migrantengruppen.

Geld für den Staat

Im Schnitt bringen arbeitende Einwanderer dem Staat Geld ein, denn sie zahlen Abgaben. Für die Kommunen problematisch ist die Konzentration vieler Empfänger staatlicher Leistungen in einzelnen Orten. Probleme gibt es etwa in Duisburg, Dortmund und Berlin, wo der Anteil der Arbeitslosen und Hartz-IV-Bezieher unter den Rumänen und Bulgaren besonders hoch ist.

Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sagte im Inforadio des RBB: „Wir haben es hier nicht mit einem flächendeckenden Phänomen in ganz Deutschland zu tun, sondern wir haben es mit einer Konzentration von Problemen in einigen westdeutschen Großstädten zu tun.“

Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa zufolge finden 60 Prozent der Deutschen die Angst vor sogenannter Armutszuwanderung berechtigt, 36 Prozent halten dies für übertrieben.

8 Jan 2014

TAGS

EU-Freizügigkeit
Deutschland
CSU
Armutsmigration
Aufstocker
Hartz IV
EuGH
CSU
Armutszuwanderung
Hartz IV
EU
Hartz IV

ARTIKEL ZUM THEMA

Unterbringung: Teure Nacht im Obdachlosenheim

Schlafen mittellose Zuwanderer aus Südosteuropa in Hannover in Sammelunterkünften, müssen sie bezahlen – auch Kinder. Die Kritik daran nimmt zu.

Hartz-IV für Bulgaren und Rumänen: Zuwanderer häufig Aufstocker

Rumänen und Bulgaren, die Hartz-IV beziehen, stocken besonders oft niedrige Einkommen auf. Die Linke kritisiert daher die Diskussion um Missbrauch von Sozialleistungen.

Kommentar EU-Zuwanderungsdebatte: Gefühlte Gerechtigkeit

Haben arbeitslose EU-Migranten Anspruch auf Hartz IV? Auch wenn der Europäische Gerichthof dies verfügen könnte, ist Hysterie unangebracht.

Sozialleistungen für EU-Bürger: Wenn Deutsche das Ausland belasten

Wie wird der EuGH über Hartz IV für Rumänen und Bulgaren entscheiden? Ein Urteil zu einem in Österreich lebenden Rentner gibt Hinweise.

CSU zu Zuwanderung: Nein, nein, kein Rechtspopulismus

„Wer betrügt, der fliegt.“ So steht es nun tatsächlich in einem von allen CSU-Abgeordneten abgesegneten Papier. Kritik weist die Landesgruppenchefin zurück.

Diskussion um Arbeitnehmerfreizügigkeit: Steinmeier attackiert die CSU

Erster Streit in der großen Koalition: In der Debatte über die „Armutszuwanderung“ erntet die CSU Kritik. Die Linke spricht sogar von „Quartalsrassismus".

EU-Freizügigkeitsabkommen: Kein Grund zur Angst vor den Armen

Die CSU warnte jüngst vor Armutsmigration aus Osteuropa. Doch Bulgaren und Rumänen, die in Deutschland ohne Job sind, erhalten gar keine Leistungen.

Ab Januar 2014 volle EU-Freizügigkeit: Von wegen Armutsmigration

Wirtschaftsexperten begrüßen neue Zuwanderung aus Rumänen und Bulgarien. Politiker und Roma-Vertreter warnen vor Panikmache.

Kommentar: EU-Freizügigkeit: Europa schiebt Paranoia

Ab 2014 steht Rumänen und Bulgaren der europäische Arbeitsmarkt offen. Zudem haben sie ein Recht auf Hartz-IV-Leistungen. Das schürt Ängste.

Migranten zelten vorm Jakobushaus: Letzter Ausweg Camping

Rumänen und Bulgaren haben in Deutschland selbst bei Obdachlosigkeit keinen Anspruch auf Sozialleistungen.