taz.de -- Krise in der Ukraine: Rückkehr zur alten Verfassung
Während sich Regierung und Opposition in der Ukraine vorläufig einigen, stimmt das Parlament für eine Beschneidung der Vollmachten des Präsidenten.
KIEW dpa/afp | Das ukrainische Parlament hat mit breiter Mehrheit für eine Rückkehr zur Verfassung von 2004 gestimmt und damit für eine Beschneidung der Vollmachten des Präsidenten. Das teilte die Oberste Rada am Freitag mit. Damit setzten die Abgeordneten nur etwas mehr als eine Stunde nach der Einigung über eine Krisenlösung im Land den ersten Punkt eines Mehrstufenplans um. Präsident Viktor Janukowitsch muss das Gesetz noch unterschreiben, damit es in Kraft tritt.
Für die Verfassungsänderung stimmten 386 von 397 anwesenden Abgeordneten. Es gab keine Gegenstimmen. Gemäß des auch von der EU mit ausgehandelten Lösungsplans soll in einem nächsten Schritt bis September eine Verfassungsreform erarbeitet werden. Die Stärkung von Regierung und Parlament auf Kosten des Staatschefs war stets eine Kernforderung der Opposition gewesen.
Auch 140 Mitglieder der regierenden Partei der Regionen stimmten für die Änderung. Die Parlamentarier votierten ebenfalls eindeutig für eine Freilassung aller, die bei den gewaltsamen Protesten der vergangenen Tage festgenommen worden waren. Bei Straßenkämpfen zwischen Sicherheitskräften und Regierungsgegnern waren seit Dienstag mindestens 77 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden.
Zuvor hatten der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch und Oppositionsvertreter am Freitag in Kiew das vorläufige Abkommen zur Überwindung der schweren politischen Krise unterzeichnet. Als Regierung vorgesehen Vorgesehen ist nun ein neues „Kabinett des nationalen Vertrauens“, das innerhalb von zehn Tagen gebildet werden soll.
Wie die Agentur Interfax meldete, verweigerte jedoch der russische Vermittler Wladimir Lukin seine Unterschrift unter das Interimsabkommen. Er wolle bald nach Moskau zurückkehren, hieß es.
Zweiter Armeechef tritt zurück
Regierungsgegner auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in Kiew, darunter auch Radikale, hatten zuvor betont, die von Janukowitsch angekündigten Beschlüsse seien keinesfalls ausreichend. Der Präsident müsse sofort zurücktreten und vor Gericht gestellt werden, forderten viele. Bei schweren Auseinandersetzungen zwischen Regierungsgegnern und Sicherheitskräften in der ukrainischen Hauptstadt waren in den vergangenen Tagen mindestens 77 Menschen getötet worden. Beide Seiten geben sich gegenseitig daran die Schuld.
Die EU und die Nato warnten das ukrainische Militär vor einem Eingreifen in den Konflikt zwischen Regierung und Opposition. „Das stand zwar nicht auf der Tagesordnung, aber einige Minister haben gesagt, dass die ukrainischen Streitkräfte nicht eingreifen dürfen“, sagte der griechische Verteidigungsminister Dimitris Avramopoulos nach einem Treffen der EU-Verteidigungsminister in Athen. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte im Kreis der EU-Minister, das ukrainische Militär müsse neutral bleiben. Falls die Regierung die Armee gegen Demonstranten einsetze, hätte das „äußerst negative Auswirkungen“ auf die Beziehungen zur Nato.
Zwei Tage nach der Entlassung des ukrainischen Armeechefs Wolodimir Samana ist dessen Stellvertreter Juri Dumanski zurückgetreten, damit das Militär nicht gegen die Demonstranten einschreitet. „Ich habe beschlossen, meinen Rücktritt einzureichen, um eine Eskalation zu verhindern“, sagte Dumanski am Freitag im TV-Sender Kanal 5.
Präsident Janukowitsch hatte schon zu Beginn des Monats erwogen, den Notstand auszurufen und damit einen Einsatz von Soldaten gegen Demonstranten zu ermöglichen. Dies hatte Armeechef Samana öffentlich kritisiert. Am Mittwoch war er dann von Janukowitsch ohne Angaben von Gründen entlassen worden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sah nach den Verhandlungen der EU mit der ukrainischen Führung eine vorsichtige, letzte Chance, nun zu einem politischen Prozess zu kommen. Merkel habe in einem Telefonat Janukowitsch bewegen können, ausländische „Zeugen und Moderatoren“ von Gesprächen mit der Opposition zu akzeptieren, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin mit.
Dieser Artikel wurde zuletzt aktualisiert um 16.39 Uhr.
21 Feb 2014
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