taz.de -- Kommentar Janukowitschs Flucht: Gefährlicher Realitätsverlust

Der abgesetzte Präsident der Ukraine sendet absurde Botschaften aus Moskau. Für die fragile Vielfalt seines Landes könnte das gefährlich werden.
Bild: Hält sich noch immer für den rechtmäßigen Präsidenten: Der Bürger Janukowitsch.

Der abgesetzte ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch ist nicht mehr bei Trost. Dass er sich in Russland vor den sogenannten Extremisten verkriecht, ist nicht weiter überraschend. Eine Alternative hatte Janukowitsch schlicht nicht mehr. Und Russlands Präsident Wladimir Putin kann sich wieder einmal als Beschützer der Entrechteten und Verfolgten dieser Welt aufspielen.

Dass Janukowitsch aber noch immer darauf beharrt, das legitime Staatsoberhaupt seines Landes zu sein, ist mehr als krude. Derartig realitätsferne Botschaften sind angesichts der jüngsten Spannungen auf der Halbinsel Krim brandgefährlich. Leicht kann die Situation, für die von jeher ein fragiles Nebeneinander von Ukrainern, Russen und muslimischen Krimtataren charakteristisch ist, aus dem Ruder laufen.

Die Rolle Moskaus in diesem Prozess, in dem auch die Anwendung militärischer Gewalt nicht mehr ausgeschlossen erscheint, ist keine neue. Schon der damalige Moskauer Oberbürgermeister Juri Luschkow machte öffentlich Stimmung für einen Anschluss der Krim an Russland. Nach dem russisch-georgischen Krieg um die abtrünnige Region Südossetien im August 2008 ließ Moskau an seine russischen Brüder und Schwestern auf der Krim russische Pässe verteilen und schürte dadurch nach Kräften vorhandene Konflikte.

Auch die jüngsten Ankündigungen des Kreml, seine Landsleute in der Ukraine zu schützen, dürften in der Bevölkerung für weitere Unruhe sorgen. Das gilt insbesondere für die Tataren. Schon 2004 unterstützten sie die Orange Revolution und den sich daran anschließenden Machtwechsel. Auch jetzt stehen sie wieder hinter der neuen Regierung.

Und die ist jetzt gefordert, will heißen: Ministerpräsident Arseni Jazenjuk oder andere Mitglieder der Regierung sollten sich unverzüglich auf die Krim begeben. Warum macht sich nicht auch Vitali Klitschko auf den Weg zu den Inselbewohnern, die die Kiewer Regierung derzeit noch als Fremdkörper betrachten?

Er gehört zwar dem Kabinett nicht an, will aber im kommenden Mai der nächste Präsident der Ukraine werden. Gelingt es den neuen Machthabern nicht, den Konflikt zu entschärfen, laufen sie gleich zu Beginn ihrer Amtszeit Gefahr, die Kontrolle über einen strategisch wichtigen Teil des Landes zu verlieren. Das wäre ein Desaster.

28 Feb 2014

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Barbara Oertel

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