taz.de -- Klimawandel im Norden: Es hat sich ausgedeicht

Ein Expertenbericht empfiehlt einen Paradigmenwechsel beim Hochwasserschutz: Mehr Überflutungsflächen statt immer höhere Deiche und Dämme.
Bild: So könnte es bald wieder aussehen: Die schleswig-holsteinische Kleinstadt Lauenburg in der Elbe

HAMBURG taz | Lauenburg ist nur ein Beispiel. Das „Jahrhunderthochwasser“ der Elbe im Juni vorigen Jahres war bereits das zweite nach 2002, und es wird nicht das letzte sein: „Heiße, trockene Sommer mit heftigen Gewittern, Stürme, Sturmfluten, tagelange Niederschläge und heftige Überschwemmungen“ tauchen auf im Abschlussbericht des Forschungsprojekts „Klimzug-Nord“, der am Mittwoch in der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) vorgestellt wurde. Das kaum beruhigende Fazit: „Solche Wetterkapriolen werden künftig deutlich häufiger auftreten.“

Die rund 170 Fachleute aus Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Behörden und Stiftungen der Metropolregion Hamburg, die über fünf Jahre an dem Projekt mitgearbeitet haben, empfehlen „einen Paradigmenwechsel“ beim Hochwasserschutz: „Lebt mit dem Wasser.“

Für die norddeutschen Küstenländer würde das bedeuten, nicht weiter Milliardenbeträge in den Bau immer höherer Deiche sowie anderer Hochwasserschutzeinrichtungen zu stecken. „Die Anpassung an den Klimawandel in der Metropolregion ist unumgänglich“, sagt Daniela Jacob, Leiterin der Abteilung Klimasysteme am Climate Service Center in Hamburg, einer Einrichtung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht.

Notwendig sei es zum einen, Häuser hochwassersicher zu bauen: Durch Fluttore für Türen und Fenster sowie die automatische Abschottungen von Gebäuden ließen sich Flutschäden Grenzen zu halten. Mit dem Stapeln von Sandsäcken per Hand sei den drohenden Überschwemmungen an den Flüssen und den Sturmfluten an den Küsten von Nord- und Ostsee auf Dauer nicht zu trotzen.

In seinem mehr als 130 Seiten starken Abschlussbericht mit dem Titel „Kursbuch Klimaanpassung“ empfiehlt das Expertengremium, großflächig Überflutungsräume zurückzugewinnen. So müssten an der speziell untersuchten Unterelbe die Gebiete mit Tideeinfluss ausgeweitet werden, um die negativen Folgen von Deichbau und Fahrrinnenvertiefungen zu lindern. Denn die „zunehmende Einengung des mehrfach vertieften Flusslaufs hat zu einer Verstärkung der Tide und zu einer schlechteren Sauerstoffverfügbarkeit im Wasser geführt“, heißt es. Deshalb sollten „zusätzliche, tidebeeinflusste Flachwassergebiete“ und somit Überflutungsräume an den Flussläufen geschaffen werden.

Im Wesentlichen bestätigen die Ergebnisse von Klimzug-Nord damit die Prognosen des Extremwetterkongresses im September vorigen Jahres in Hamburg: Das Wetter in Norddeutschland wird demnach „trockener, heißer und stürmischer“. Schon bis 2035 seien 20 Prozent weniger Niederschläge zu erwarten, dafür deutlich mehr Stürme. Zwar blieben extreme Wetterereignisse regional begrenzt – aber wo es stürme, fielen die Schäden umso größer aus.

Nach Angaben der weltgrößten Rückversicherung Munich Re hat sich die Zahl der Naturkatastrophen in Deutschland seit 1970 mehr als verdreifacht. Schäden von neun Milliarden Euro habe allein die Elbeflut im vorigen Jahr verursacht, bereits jetzt sei 2013 das Jahr mit den zweithöchsten Unwetterschäden gewesen. Nur beim Elbehochwasser im Jahr 2002 habe die Schadenssumme mit 20 Milliarden Euro höher gelegen. Aber das wird ja nach allen Vorhersagen nicht das letzte gewesen sein.

Das „Kursbuch Klimaanpassung“ kann auf heruntergeladen werden

19 Mar 2014

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Sven-Michael Veit

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