taz.de -- Wirbelsturm-Bekämpfung: Mit Windkraft gegen Hurrikans

Windmühlen können nicht nur Strom erzeugen, sondern auch Wirbelstürme abschwächen, meinen Wissenschaftler. Aber ganz so einfach ist das nicht.
Bild: Vom Sturm aufgepeitsches Meer: Windparks sollen die Naturgewalt bändigen

BERLIN taz | Große Windparks vor der Küste sind bislang je nach Sichtweise eher ein Gewinn – sie erzeugen grünen Strom – oder ein Übel – sie verschandeln den freien Blick aufs Meer. Jetzt kommt noch eine mögliche dritte Funktion der Energiespargel hinzu: Großflächige Windanlagen könnten Küstenstädte vor zerstörerischen Stürmen schützen, weil sie dem Wind einen Teil seiner Energie rauben. Darauf haben Forscher aus den USA anhand von Computermodellen hingewiesen.

Nach den Berechnungen, die unter anderem [1][Mark Jacobson], Professor für Umweltingenieurswissenschaften an der Eliteuni Stanford, durchgeführt hat, könnten riesige Windparks von Tausenden Turbinen einem Hurrikan ordentlich den Wind aus den Segeln nehmen.

Wirbelstürme wie „Sandy“ oder „Katrina“, die in den letzten Jahren Milliardenschäden in New York und New Orleans angerichtet haben, wären auf diese Weise stark abgebremst worden, erklärte Jacobson laut Pressemitteilung der Universität: In einem Hurrikan wie „Katrina“ könnten Windmühlen die Windgeschwindigkeit um fast 150 Stundenkilometer und die Höhe der Sturmflut um bis zu 79 Prozent verringern.

Jacobson hatte nach dem verheerenden Hurrikan „Sandy“, der im Dezember 2012 an der US-Ostküste Schäden von über 80 Milliarden Dollar anrichtete, eine Frage klären wollen: Was passiert, wenn ein Sturm auf einen Windpark trifft? Zerstört er die Windturbinen oder bremsen die Windmühlen seine Kraft?

Seine Modelle zeigten als Ergebnis eine Kettenreaktion, die den Sturm schwächt: „Windturbinen verringern die äußeren Rotationswinde eines Hurrikans“, sagt der Windexperte. „Das verringert die Höhe der Wellen und bremst die Bewegung von Luft ins Zentrum des Sturms. Das erhöht den Luftdruck im Innern des Sturms, was den Wind verlangsamt und den Sturm schneller auseinandertreibt.“

Notwendig sind riesige Windparks

Die Berechnungen von Jacobson und Kollegen von der Uni Delaware sind im Fachblatt [2][Nature Climate Change] veröffentlicht worden. Allerdings nahmen die Forscher Windparks mit Ausmaßen an, die bislang utopisch erscheinen: Es hätte schon 78.000 Windmühlen vor der Küste von New Orleans gebraucht, um aus dem Killersturm „Katrina“ ein laues Lüftchen zu machen. Der bislang größte Windpark Europas, London Array vor Großbritannien, hat derzeit 175 Windmühlen. Und die ehrgeizigsten Ausbauziele vor der deutschen Küste, die schon deutlich eingedampft wurden, sahen etwa 10.000 Anlagen vor.

Doch die Forscher verweisen auf den zusätzlichen Nutzen, den diese Windparks als Sturmbarriere an gefährdeten Küsten bringen könnten. Zwar gebe es große politische Widerstände gegen Offshore-Parks, aber immerhin könnten Schäden von Dutzenden Milliarden Dollar vermieden, teure Deichbauprogramme wesentlich reduziert und als Zusatzgeschäft noch jede Menge umweltfreundlicher Strom erzeugt werden.

Es wird stürmiger

Allein umfassende Deichbauten vor einer Stadt kosteten schnell zwischen 10 und 40 Milliarden Dollar, erklärte der Umweltingenieur Jacobson. Und durch die Vermarktung des Windstroms würden sich die Parks „langfristig selbst finanzieren“. Andere Szenarien kalkulieren nach Informationen des [3][„Climate News Network“] bei einem ungebremsten Klimawandel für das Jahr 2100 allein in Küstenstädten mit Sturmschäden von 100 Billionen Dollar jährlich.

Über die Frage, wie sehr Windkraft den Wind bremst, haben Forscher in der Vergangenheit immer wieder gestritten. So warnte 2011 das Max-Planck-Institut für Biochemie in Jena, [4][das Potenzial für Windkraft sei deutlich geringer als angenommen und könne fatale Auswirkungen auf das Weltklima haben.]

Andere Wissenschaftler dagegen betrachten das Potenzial für den erdnahen Wind als so gigantisch, dass ein bisschen Umlenkung in die Stromnetze nicht weiter auffalle. So hatten auch Jacobson und seine Mitstreiter bereits 2012 erklärt, die Hälfte des weltweiten Stroms könne bis 2030 aus Windmühlen an den zugigsten Stellen der Erde kommen. Gebraucht würden dafür lediglich: 4 Millionen Windkraftanlagen.

29 Mar 2014

LINKS

[1] http://www.stanford.edu/group/efmh/jacobson/
[2] http://www.nature.com/nclimate/journal/v4/n3/full/nclimate2120.html
[3] http://www.climatenewsnetwork.net/
[4] http://www.earth-syst-dynam.net/2/1/2011/esd-2-1-2011.html

AUTOREN

Bernhard Pötter

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