taz.de -- Kommentar Streik im öffentlichen Dienst: Streiken ist auch ’ne Kunst
Mit den Warnstreiks an Flughäfen und in Kindergärten kämpft Ver.di um die Kaufkraft der Mittelschicht. Doch die Gewerkschaft muss vorsichtig sein.
Immer etwas genervt, aber stets freundlich und im Zweifel solidarisch antworten Bürger im Fernsehen auf die Frage, was sie von den Warnstreiks im öffentlichen Dienst halten: „Okay“, „geht schon“, „verständlich“, aber eben auch: „Bitte nicht zu lange“.
Warnstreiks im öffentlichen Dienst sind für die Gewerkschaft Ver.di immer auch eine Kunst. Sie muss ein Gefühl von Druck erzeugen, die Belastungen einigermaßen gerecht verteilen und genug Identifikationspotenzial anbieten, damit die Streikenden nicht als rücksichtslose Minderheit erscheinen. Nur dann lässt sich in der Gesellschaft eine Haltung erzeugen, die einen Warnstreik akzeptiert wie einen Dauerregen im April, weil er irgendwie dazugehört.
Die Belastungen sind derzeit einigermaßen fair verteilt. Sie treffen nicht nur Mütter oder Väter, die ihre Kinder nicht in die Kita bringen können und vielleicht sogar einen Extra-Urlaubstag nehmen müssen. Auch Geschäftsleute, die nicht zum Meeting fliegen können und daher auf die Bahn umsteigen müssen, sind betroffen. Wobei ein Streik auf Flughäfen in den Medien immer einen viel breiteren Raum einnimmt als Ausstände in Kindertagesstätten, was ein Licht auf gesellschaftliche Wertigkeiten wirft.
Das Identifikationspotenzial gegenüber den Streikenden ist auch gegeben, denn eine Bezahlung von 1.600 Euro netto für eine berufserfahrene Erzieherin ist niedrig und reicht, wie jeder weiß, nun mal kaum aus für hohe Mieten, Zahnersatzkosten, eine private Altersvorsorge und die Unterhaltskosten für ein Kind.
Der Warnstreik zeigt, worum es in den bräsigen Zeiten der Großen Koalition gehen wird: um die Kaufkraft der unteren Mittelschichten und wie man mit einem kleinen Gehalt ein Leben lang klarkommt. Das klingt undramatisch. Ist es aber nicht. Genau deswegen muss man Ausstände wie derzeit im öffentlichen Dienst auch als Kunde unbedingt aushalten können.
27 Mar 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die Klagen der Kämmerer über leere Kassen sind berechtigt – aber sie haben den falschen Adressaten. Die Gewerkschaften sind unschuldig.
Gewerkschaften und Arbeitgeber verhandeln über mehr Lohn für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Aber das Geld ist knapp.
Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes gehen deutschlandweit auf die Straßen. „Wir wollen teilhaben am wirtschaftlichen Aufschwung“, so Verdi-Chef Bsirske.
Die Lufthansa annulliert am Donnerstag Hunderte Flüge wegen eines angekündigten Streiks. Am Mittwoch wurde bereits der Nahverkehr in vielen Städten lahmgelegt.
Am Donnerstag werden die größten deutschen Flughäfen bestreikt. Es drohen hunderte Ausfälle. Verdi will so den Druck in den laufenden Tarifverhandlungen erhöhen.
Kitas dicht, Bahnen lahmgelegt – bundesweit kommt es diese Woche zu Warnstreiks. Die Beschäftigten erhöhen vor der letzten Tarifverhandlung den Druck.
In einer Urabstimmung haben sich die Piloten der Gewerkschaft Cockpit für Arbeitskämpfe ausgesprochen. Sie fordern mehr Gehalt und bessere Altersversorgung.