taz.de -- Die Wahrheit: Ja keine halben Sachen

Anders als die Halbinsel Krim ist das Nordsee-Eiland Amrum eine richtige Insel. Ihr nordfriesischer Name sorgt zudem für transzendentes Wohlgefühl.
Bild: Baufällig oder nicht? Lange gab es nicht einmal ein Gutachten zum Zustand des Amrumer „Haus des Gastes“

Mehr Zeitgenossen als üblich zieht gegenwärtig eine Halbinsel namens Krim an. Mich wiederum lockte neulich die Insel Amrum. Bestimmt hing meine Visite mit einer Familienlegende zusammen. Die Hebamme soll nach meiner Geburt angesichts des Gewichts und der Größe gesagt haben: „Der braucht immer das Doppelte!“ Dieser Imperativ durchweht als Leitmotiv meine Biografie. Folglich rechnete ich das Doppelte einer Halbinsel aus und siehe da: Es ergab eine vollständige Insel. Und nicht eben irgendeine, sondern Amrum, wo die Sylter Urlaub zu machen pflegen.

Anderes spricht eher für die Insel. Zunächst der Name, der im zuständigen nordfriesischen Dialekt Oomram lautet. Sagen Sie es bitte durchdringend, geräuschvoll mehrmals nacheinander: Oomram. Bald breitet sich eine ungeahnte Ruhe aus, oder? Man atmet tiefer ein und tiefer aus.

Ich meine, es beruht auf keinem Zufall, dass in der ersten Silbe von Oomram das Om, die heiligste mantrische Silbe der Hindus und Buddhisten, nicht nur mitschwingt, sondern mit ihr korrespondiert, mit dem transzendenten Urknall. Halt, nein, natürlich: Urklang.

Und Oomram insgesamt? Da gerät man zwangsläufig in die Nähe des tibetischen Buddhismus, dem man ja reserviert gegenübersteht, weil man über dessen Chef Seltsames gehört hat. Egal an dieser Stelle, denn wir müssen uns jenes längere Mantra vorknöpfen, das wohl nur mit dieser buddhistischen Spielart einhergeht: „Om mani padme hum. Om mani … Oomram.“ Die gemeinsamen gedehnten O, a, die geraunten m erweisen die Laute als Nachbarn. Im Geiste? Lassen wir dahingestellt.

Eine weitere Besonderheit auf Oomram unterstützt meine Forschungsergebnisse. Am Rande der Ortschaft Nebel – die Bezeichnung wäre in diesem Zusammenhang ebenfalls zu durchleuchten – findet sich der Friedhof der Namenlosen. Hier liegen jene Ertrunkenen begraben, die von den Wellen angespült und nie identifiziert wurden. Auf dem Torbogen des Eingangsportals ist die Inschrift zu lesen: „Es ist noch eine Ruhe vorhanden“. Wohlgemerkt, das Motto hat niemand eingeritzt, dem der Hang zum Instant-Buddhismus westlicher Prägung nachzusagen wäre. Es ist ein paar Jahrzehnte älter.

Eine andersartige Ruhe ist hier übrigens für die Lebenden vorhanden, selbst mitten im Hochsommer. Staus und Menschenschlangen wie etwa am Gipfel des Mount Everest sind auf dem Sandstrand nie zu befürchten, einer der breitesten in Europa. Nein, für diesen Text erhalte ich keinen Cent von der Tourismuszentrale. Stattdessen zwangen mich diabolische Naturkräfte, ihnen mit diesen zaubrischen Zeilen nachträglich Widerstand zu leisten.

Vergangenen Jahres hatte Satan nämlich in Gestalt der Orkane „Christian“ und „Xaver“ die Insel ins Visier genommen und beträchtlichen Schaden angerichtet. Ein zwiefaches Zeichen des Antichrist, dem nur solche Typen Einhalt zu gebieten verstehen, die immer das Doppelte geben und nehmen, auch im Zurückschlagen. Oom!

2 Apr 2014

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