taz.de -- Kommentar Ostermärsche: Im Wachkoma

Die Friedensbewegung hat Probleme mit der Wahrnehmung. Das gilt nicht nur für die Bewertung der eigenen Stärke.
Bild: Zwei Mann und eine Taube: Ostermarsch in Berlin. Das war früher ganz anders.

Man muss schon eine, sagen wir, etwas schwierige Wahrnehmung der Lage haben, um die Ostermarschbewegung nach diesem Wochenende noch wie Manfred Stenner (Netzwerk Friedenskooperative) für „wach und lebendig“ zu halten. Nur wenige hundert Teilnehmer selbst in Großstädten: Das sieht eher nach Wachkoma aus.

Sicherlich ist es zu einfach, die geringe Beteiligung nur auf falsche Positionen, ein zu großes Verständnis für Russland etwa, zu schieben. Zu den Putinverstehern gehören ja nicht nur Teile der Friedensbewegung, sondern auch weite Teile der deutschen Bevölkerung.

Aber die Motivlage ist doch unterschiedlich: Die Deutschen wollen mehrheitlich nicht mehr mit den Krisen der Welt behelligt werden – nicht mit Afghanistan, nicht mit Griechenland, schon gar nicht mit dem fremd gebliebenen Osteuropa. Der Trend geht zum politischen Isolationalismus – und jedes Argument, das den Rückzug auf sich selbst legitimiert, kommt da recht. Aber wer mit Außenpolitik nichts zu tun haben will, geht auch nicht zum Ostermarsch.

Im linken Lager dagegen wird die Friedensbewegung kaum mehr als ein paar DKP-Anhänger mobilisieren können, solange sie Aufrufe wie den zur Ukraine verfasst. Bei dem Beitritt der Krim zu Russland habe es „nicht um eine völkerrechtswidrige Annexion“ gehandelt, „sondern um eine völkerrechtlich umstrittene Sezession“, steht da. Wer das vertritt, öffnet dem militärischen Vorgehen Russlands auch in der Ostukraine Tür und Tor.

Eine wirkliche Friedensbewegung müsste eine Abstimmung unter militärischer Besatzung verurteilen. Aber dazu ist bei der realen Friedensbewegung der Einfluss von Menschen mit einer etwas schwierigen Wahrnehmung der Wirklichkeit zu groß: von denen, die stets den Westen für das Haupthindernis zum Frieden halten.

21 Apr 2014

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Martin Reeh

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