taz.de -- Kommentar SPD und TTIP: Dafür und dagegen
Traditionell ist die Sozialdemokratie ideologisch flexibel. Doch ihre unklare Haltung zum Freihandelsabkommen wird ihr im EU-Wahlkampf zur Bedrohung.
Die Sozialdemokratie hat sich im Laufe ihrer Geschichte eine gewisse Dehnungsfähigkeit angeeignet. Anders wird man wohl auch nicht 150 Jahre alt. Ein interessantes Beispiel dieser Gelenkigkeit ist die Haltung zu dem Freihandelsabkommen der EU mit den USA, TTIP.
Noch vor ein paar Wochen hörte man von SPD-Spitzenpolitikern nur Pro-Bekenntnisse. Auch als klar war, dass die NSA die politische Elite in Berlin flächendeckend abhörte, sah SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz im Winter keinen Anlass, deshalb die Verhandlungen zu unterbrechen. Realpolitik halt. Das Abkommen versprach Arbeitsplätze.
Nun ist TTIP innerhalb von ein paar Wochen von einem unverständlichen Kürzel für unverständliche Politik zum Zeichen für klandestine Hinterzimmerpolitik geworden. Das droht den SPD-Europawahlkampf zu verhageln. Man beruft Komissionen ein und versucht Schadensbegrenzung. Neuerdings erklärt auch Schulz mit Verve, dass „das Volk Anspruch darauf hat zu wissen, worüber verhandelt wird“.
Allerdings hat die SPD im Europaparlament eigenhändig dafür gestimmt, dass die Verhandlungen geheim sind. Solche Wendemanöver enden gerade in Wahlzeiten mitunter in Havarien. Wie tief die neue TTIP-Skepsis der SPD-Spitze sitzt, ob, sind die Wahlplakate erst abgehängt, das nächste Wendemanöver folgt – wer weiß das schon? In Hintergrundgesprächen klagen Sozialdemokraten über die Ausschläge der Erregungsdemokratie, die mit Schlagworten wie „Chlorhühnchen“ und „Investorenschutz“ jede minutiös geplante Wahlkampagne über den Haufen werfen.
In diesem Wahlkampf haben die Sozialdemokraten jedenfalls ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Die SPD ist die einzige Partei, die irgendwie für und gegen das Freihandelsabkommen ist.
21 May 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Der beim TTIP-Abkommen geplante Investorenschutz ist umstritten. George Miller über die Angst der US-Bürger, Obamas falsche Versprechen und die Macht der Konzerne.
Die Behörden halten Chlorhühner für unbedenklich. Haben sich TTIP-Gegner ein falsches Symbol ausgesucht? Campact-Aktivistin Strasser sagt: Nein.
EU-Handelskommissar Karel De Gucht versteht nicht, warum so viele Menschen gegen TTIP sind.
Rechtspopulisten, TTIP, Datenschutz, Eurokrise und die Mauscheleien der wichtigsten Regierungschefs: Warum diese Wahl nicht egal ist.
Pia Eberhardt klärt über das Freihandelsabkommen auf – und provoziert dabei zunehmend rüde Attacken der TTIP-Befürworter.
Das Freihandelsabkommen mit den USA macht den deutschen Kulturbetrieb nervös. „Verteidigt die Kultur“, ruft die Akademie der Künste in Berlin.
Innovativ, klassisch oder peinlich? Wir analysieren, wie sich die Parteien während des Europawahlkampfs im Netz schlagen. Dieses Mal: die SPD.
Sein Herz trägt Martin Schulz sehr weit vorn auf der Zunge. Manchmal ist das riskant. Der Sozialdemokrat will EU-Kommissionspräsident werden.