taz.de -- Die Ukraine vor der Präsidentenwahl: Hoffnung auf Ordnung

Drei Monate nach dem Sturz von Wiktor Janukowitsch wählt die Ukraine einen neuen Präsidenten. Ist das ein Ausweg aus der Krise? Fragen und Antworten zur Wahl.
Bild: Ausweg aus dem Chaos? Am Sonntag soll in der Ukraine ein neues Staatsoberhaupt gewählt werden.

KIEW/MOSKAU dpa | Die Präsidentenwahl in der Ukraine soll endlich Stabilität in der Ex-Sowjetrepublik bringen. Doch das Chaos könnte kaum größer sein: Im Osten, wo Regierungstruppen gegen militante prorussische Kräfte kämpfen, können die Menschen kaum abstimmen. Die vor dem Staatsbankrott stehende Ukraine sieht sich zudem von Russland wegen unbezahlter Gasrechnungen in Milliardenhöhe unter Druck.

Es ist auch die erste Wahl nach dem Verlust der Schwarzmeerhalbinsel Krim. Zudem hält sich der im Februar gestürzte Präsident Viktor Janukowitsch in seinem russischen Exil weiter für den rechtmäßigen Staatschef. Zur verfahrenen Lage einige Fragen und Antworten:

Warum ist die Wahl so wichtig?

Das Land mit seinen 43 Millionen Einwohnern steckt im Chaos. Es ist seit dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch im Februar ohne ordentlich gewähltes Staatsoberhaupt. Nach ihrer prowestlichen Revolution auf dem Maidan in Kiew mit mehr als 100 Toten hofft die in Richtung EU orientierte Interimsführung durch die Wahl auf ein legitimes Staatsoberhaupt. Nun sollen auch diejenigen, die nie für die revolutionären Umbrüche in dem Land auf die Straße gingen, ihre Stimme für die Zukunft abgeben können.

Es sind mehr als 20 Kandidaten. Wird es schon am Sonntag eine Entscheidung geben oder doch eine Stichwahl im Juni?

Das Lager das aussichtsreichsten Kandidaten Pjotr Poroschenko hofft auf eine Entscheidung im ersten Wahlgang. Niemand will noch mehr Zeit verlieren. Es gibt bei Umfragen unterschiedliche Rechenmodelle. Ob der Milliardär die nötigen 50 Prozent für einen Sieg am Sonntag erhält, ist aber unsicher. Der durch Süßwarenproduktion reich gewordene „Schokoladenkönig“ Poroschenko hat Umfragewerte immer wieder ganz stark zur Eigenwerbung benutzt. Viele Ukrainer sagen, dass sie einen anderen Kandidaten bevorzugen würden, aber für Poroschenko stimmen, weil nur er echte Chancen habe.

Der Wahlfavorit Poroschenko ist nicht unumstritten. Warum ist ausgerechnet er der große Hoffnungsträger?

Viele Ukrainer, die den Oligarchen wählen wollen, sagen, dass er unter allen schlechten Varianten die beste Wahl sei. Poroschenko gilt als ausgeglichen und kompromissbereit. Er gehörte zwar unterschiedlichen politischen Lagern an, setzte sich aber zuletzt immer wieder als in die EU orientierter Demokrat in Szene, der im Wahlkampf auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin empfangen wurde. Das machte auf viele ukrainische Wähler, die deutsche Stabilität schätzen, Eindruck. Er gehört aber auch dem kleinen Kreis der Oligarchen an, die traditionell im Verdacht stehen, das Land nur als Instrument zur eigenen Bereicherung zu sehen.

Vor allem auch die USA und die EU erhoffen sich von der Abstimmung endlich Stabilität – ist die in Sicht?

Es ist der Versuch, Ordnung in das Chaos zu bringen. Aber die Lage könnte kaum verfahrener sein. Der nach Russland geflüchtete Viktor Janukowitsch hält sich weiter für den rechtmäßigen Präsidenten der Ex-Sowjetrepublik. In den ostukrainischen Gebieten gibt es seit Wochen blutige Kämpfe von Regierungstruppen gegen prorussische Separatisten. Zudem sind die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des klammen Landes, das allein bei Russland Schulden in Milliardenhöhe wegen unbezahlter Gasrechnungen hat, gewaltig.

Welche sind die großen Herausforderungen des neuen Präsidenten?

Er wird sich weiter den Clankämpfen der Oligarchen stellen müssen, die traditionell um Macht und Einfluss ringen. Seine Hauptenergie wird der neue Präsident auf prowestliche Reformen richten müssen, die schmerzhaft werden für viele Ukrainer. Der Staatschef muss nicht nur einen Kampf gegen Korruption führen, sondern gegen schwere soziale Armut, steigende Lebenskosten und eine Unmenge an wirtschaftlichen Problemen. Auch die Abwanderung vor allem junger Menschen, die rasch auf ein besseres Leben in der EU hoffen, macht dem Land zu schaffen.

Und das Verhältnis zu Russland?

Durch seine Geschäfte und Produktionsanlagen ist der Unternehmer Poroschenko dem Nachbarn eng verbunden. Er gilt in Moskau als fähiger Verhandler. Der Wahlkampf in der Ukraine war nach dem Verlust der Schwarzmeerhalbinsel Krim und angesichts der von Russland unterstützten gewaltsamen Proteste im Osten von viel Hass gegen die Machtführung in Moskau geprägt. Moskau hofft, dass wieder Sachlichkeit einkehrt, wirft Kiew aber auch vor, antirussische Politik zu pflegen, um Wähler von ihren sozialen Sorgen abzulenken.

Wird Russland die Wahl anerkennen, wie vom Westen gefordert?

Der russische Präsident Wladimir Putin antwortete am Freitag auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg ausweichend: „Wir verhalten uns mit Respekt zur Wahl des ukrainischen Volkes.“ Er sprach aber nicht von einer „Anerkennung“, sondern verwies darauf, dass der im Februar gestürzte Präsident Viktor Janukowitsch nach geltender ukrainischer Verfassung der rechtmäßige Staatschef sei. Moskau betont, dass in den bevölkerungsreichen Industriegebieten Donezk und Lugansk die Wahl kaum organisiert und der ukrainische Präsident also von einem Teil des Landes nicht legitimiert werde. Zudem ist der von Kiew wegen Mordes, Vetternwirtschaft und Plünderung der Staatskasse gesuchte Janukowitsch aus Kreml-Sicht weiter der rechtmäßig gewählte Staatschef. Moskau verzichtete auch auf die Entsendung offizieller Wahlbeobachter. Es verfolgen trotzdem Hunderte Russen im Auftrag unabhängiger Organisationen die Abstimmung.

Warum hat Russland solche Probleme mit der Wahl?

Offiziell wirft Russland den USA und der EU vor, in der Ukraine mit viel Geld und gewaltbereiten „Marionetten“ die prowestliche Revolution samt Sturz des Präsidenten inszeniert zu haben. Dabei gehe es dem Westen, so die landläufige Meinung in Russland, allein um eine Vormachtstellung und eine Schwächung Moskaus im geopolitischen Machtpoker. Russland sieht die Ukraine traditionell als sein Interessensgebiet an, fürchtet nun um seinen Einfluss dort und wehrt sich vor allem gegen einen vielleicht möglichen Nato-Beitritt Kiews.

Eine Lösung der Krise, so heißt es immer wieder, sei aber nicht ohne Russland denkbar – wie könnte sie aussehen?

Moskau will Garantien, dass die Nato nicht bis vor seine Grenze vorrückt – und Sicherheiten, dass etwa eine Zusammenarbeit in der Rüstungs- und Raumfahrtindustrie zwischen ukrainischen und russischen Unternehmen weiterhin möglich ist. Russland verlangt zudem Dreierverhandlungen mit der EU und der Ukraine über eine Zukunft des Landes. Ganz konkret gibt es diese jetzt schon zum Beispiel beim Streit um den Preis für russische Gaslieferungen in die Ukraine, die auch das wichtigste Transitland für die EU ist.

23 May 2014

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