taz.de -- Die Wahrheit: Das Moskito-Konzept

Längst werden Klänge zur Manipulation eingesetzt – bald auch äußerst gewinnbringend auf Schulhöfen und in Arztpraxen.
Bild: Das Moskito-Konzept dringt unaufhaltsam in sämtliche Lebensbereiche vor.

In den USA und in Großbritannien serviert der Fast-Food-Konzern McDonald’s ein ganz besonderes, nur akustisch konsumierbares Dessert: Vor der Tür ertönt ein Moskitosirren, eine extrem schrille Frequenz, sie schmerzt in den Ohren, ist aber nur für junge Menschen bis 25 Jahre hörbar. Der Rest der Welt kann diese Tonhöhen aus Altersgründen nicht mehr wahrnehmen. Drinnen laufen also die aktuellen Charts, draußen zetern Myriaden von Moskitos.Die Botschaft ist denkbar simpel: Jugendliche sollen nicht vor der Tür herumlungern. Sie sollen reinkommen, futtern und zahlen. Und dann abhauen.

Das Moskito-Konzept materialisiert Ergebnisse ohne jeglichen Einsatz von manpower. Eine manipulative Audio-Therapie ohne sichtbare Therapeuten – das schreit nach Franchising und Globalisierung. Hier spricht die Natur selbst. Es gibt was aufs Ohr und Schluss ist. Frequenztherapie für alle! Fakt ist: Überall stehen und sitzen zu viele Menschen herum. Die längst fällige Entrümpelung öffentlicher Dienstleistungsräume von unerwünschtem Personenmaterial kann so fast widerstandslos vonstattengehen.

Die Fast-Food-Moskitos werden ab sofort in von Kassenpatienten überfüllten deutschen Arztpraxen eingesetzt. Das vertreibt junge Hypochonder unter 25. Die über 80-jährigen Patienten erhalten therapeutische Drohungen im tiefsten noch hörbaren Hummel-Brummton: „Hast du den Herd abgestellt? Da stand doch was auf dem Herd? Hast du den Herd wirklich, wirklich abgestellt?“ Wer offiziell nicht mehr laufen konnte, wird diese elementare Fähigkeit ganz schnell wiederentdecken. Ab nach Hause! Bei dementen Praxisbesuchern ist diese Therapie unendlich wiederholbar. Der Rest der Wartenden kann nun zügig behandelt werden.

Gabriels Stimme als Loop

Auf dem Schulhof hören die ewig herumzappelnden, vom ADHS-Syndrom geplagten Kinder die markante Stimme von Sigmar Gabriel als Loop auf der Frequenz von Baby-Moskitos: „Wie wunderbar unbändig ihr seid! Hängt euch an die Windräder, Kinder, zieht die Propeller! Ihr seid die Zukunft, ihr macht die Energiewende möglich!“ Die tüchtigsten Kinder werden sofort loslaufen und ein Windrad für Deutschland antreiben wollen. Auf die anderen kann man im nächsten Schuljahr getrost verzichten.

Obdachlose erhalten kostenlose Kopfhörer der Caritas, die zwar Musik spielen, aber darunter, unhörbar, liegt die eigentliche, hypnotisierende Botschaft der Sozialfürsorge, eingesprochen von einer sonoren, väterlichen Männerstimme (nicht Sigmar Gabriel): „Ja, ich bin krank und arm und hab kein Dach über dem Kopf, aber sieh: ich hab die U-Bahn! Mir geht es gut! Ich bin glücklich! Ich bin so glücklich, ich weiß gar nicht mehr, warum ich eigentlich in diese U-Bahn eingestiegen bin. Ich steige jetzt sofort wieder aus. Ich nehme die nächste Bahn … ja, ich bin krank und arm, aber ich habe die U-Bahn!“ So vergessen sie das Betteln und sind trotzdem vollauf beschäftigt.

Auch für den basisdemokratischen Widerstand sind vielversprechende Einsatzorte denkbar. Die Occupy-Bewegung greift, statt ihren Protest auf Aktionärsversammlungen altmodisch herauszubrüllen, auf patentierte Frequenzen im subliminalen Reich des Unterbewusstseins zurück und lässt ein schrilles, vielsprachiges Kinderweinen ertönen. Hören können es nur die Mensch gewordenen Big Macs an der Börse, die Banker und Broker mit Herzen aus Stahl. Das Kinderweinen wird begleitet von einer Sirenenstimme, die in abrupt wechselnden Tonlagen unentwegt singt: „Du hast unser Land gestohlen, unsere Bäume, unser Wasser und das Glück unserer Kinder! Hör auf uns umzubringen, Du Unmensch! Geh nach Hause!“ Mal hören, was passiert.

6 Jun 2014

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Quellenberg

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