taz.de -- Kolumne Hier spricht Brasilien: Alles ist falsch?
Nicht nur die WM-Organisation ist schräg, sondern das ganze Fortschrittsmodell Brasiliens. Deshalb begehren die Menschen auf.
Alles ist falsch!“ Der Satz stand auf einem Graffito einer Brasilien-Fahne im Norden von Rio. Er ersetzte die offizielle Inschrift „Ordem e Progresso“ (Ordnung/Befehl und Fortschritt). So etwas kam im Land des Fußballs früher nicht vor: eine heftige Kritik der Weltmeisterschaft.
Die Art und Weise, wie diese WM im Land umgesetzt wird, scheint wirklich falsch. Aber ist nicht „alles“ falsch? Ist nicht auch ein Fortschritt falsch, der die Wünsche der Bevölkerung nicht berücksichtigt? Ein Fortschritt, der qua Befehl durchgesetzt wird? Der Befehl, zu schweigen, zu akzeptieren, zu vertreiben, zu säubern, der Befehl, die Ordnung aufrechtzuerhalten.
Alle Welt schaut auf Brasilien. Ein guter Anlass, eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Aufrechterhaltung der Macht in unserer Demokratie zum Ausbruch zu bringen. Familien werden für Parkplätze aus ihren Häusern geräumt, Grundrechte negiert, öffentlicher Raum wird privatisiert. #EswirdkeineWMgeben! (#NãovaiterCopa!)
Wo ist denn die Demokratie, wenn wir gar nicht gefragt wurden? Immer mehr Leute fordern echte und direkte Teilhabe an den politischen Entscheidungen. Der Missmut über die Mechanismen der repräsentativen Demokratie wird immer deutlicher.
Graffitis zieren die für Touristen geschminkte Stadt. Es sind Stimmen derjenigen, die die Verletzung ihrer Rechte nicht mehr nur hinnehmen wollen. Wenn befohlen wird, zu schweigen, wird auf der Straße reagiert, denn wir wollen mitmachen und Politik gestalten. #EswirdkeineWMgeben, denn die Stadt gehört nicht der Fifa. Die Stadt ist, was wir aus ihr machen.
12 Jun 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Außerhalb von Brasilien ist derzeit auch alles Brasilien. Doch wie sehen andere Menschen die Brasilianer? Eindrücke einer Europareise.
Brasilien gewinnt auf jeden Fall die WM! Und wenn nicht, dann werden wir trauern. Doch es geht auf jeden Fall auch ohne Sieg weiter.
Nichts ist so ergreifend wie ein Stadionbesuch. Für unseren Autor ist es dennoch ein widersprüchliches Erlebnis. Ein Blick in die Historie Brasiliens.
Während im Fernsehen in Brasilien andauernd Fußball läuft, geht draußen die Welt weiter. Es lohnt sich, da genauer hinzusehen.
Im Stadion sitzen während der Weltmeisterschaft die reichen Eliten. Alle, auch die Fifa-Kritiker, lieben Fußball, aber bitte doch nicht so!
Jetzt reden wieder alle über Fußball. Alle? Und wenn schon! Wer nicht mitreden will, kann ja auch Gertrude Stein lesen, statt Spielverderber zu sein.
Unterwegs in São Paulo: von angelernten Fifa-Grüßen, überfüllten U-Bahn-Zügen und vermeintlicher Flaggenpflicht in den Straßen.
Muss man das Fifa-Spektakel mit seinen Kollateralschäden ablehnen? Oder darf man sich freuen, auch wegen der protestierenden Brasilianer?
Brasiliens populäre Sängerin Maria Gadú über die Wut auf die Fußball-WM, die Fifa und Verschwendung – und warum Brasiliens Kultur so wunderschön und reich ist.
In Salvador, dem schwarzen Herzen Brasiliens, lebt die Begeisterung für den Fußball. Hier will man sich zeigen auf der Bühne des Weltfußballs.