taz.de -- Kolumne Rambazamba: Oranje ewig im Herzen
Viele Deutsche würden sich freuen, sollten die Niederländer im WM-Halbfinale scheitern. Dabei hätte es die Elftal verdient, Weltmeister zu werden.
Als Marco van Basten im EM-Finale 1988 aus spitzem Winkel ein Volleytor schoss, das die Welt noch nicht gesehen hatte, war ich zehn. Der Ball hatte eine Flugkurve, die reiner Wahnsinn war. Wie leicht das aussah! Ein Treffer als Sinnbild: Es ist so verdammt viel wert, mit Entschlossenheit, mit Selbstvertrauen, mit unbedingtem Glauben an etwas heranzugehen. Das Tor war ein Mutmacher.
Der Ausgangspunkt allen Fußballs zwischen Deutschland und seinem Nachbarn ist – bis heute – natürlich die 1:2-Finalniederlage der Holländer bei der WM 1974 (die überdimensionierte Aufladung dieser Partie wiederum hat ihren Ursprung in braunen Zeiten). Es war für sie die bitterste Stunde ihrer Fußballgeschichte. Die Mannschaft um Johan Cruyff, die als die beste des Planeten galt, scheiterte.
Kürzlich schaute ich in einer Kneipe mit einem Niederländer deren souveränen 2:0-Gruppensieg gegen Chile. Auf ein mögliches deutsch-holländisches Duell angesprochen, sagte er sofort: „Die Niederlage von 1974 sitzt immer noch in uns drin.“ Der Typ war so um die dreißig Jahre alt, München ereignete sich also zehn Jahre vor seiner Geburt. Dieses WM-Finale, so dachte ich, ist bei den Niederländern – in etwa so wie bei den Brasilianern Maracanã 1950 – tief ins nationale Gedächtnis graviert.
Heute – einige WM- und EM-Duelle mit meist deutschen Siegen später – ist die Situation etwas entspannter. Die Rivalität aber ist noch da. Bei den Niederländern muss man die Antipathie jedoch verstehen: Während das Nachbarland mit hölzernen Kickern wie Hans-Peter Briegel, Jürgen Kohler oder Andi Brehme Titel um Titel einheimste, verschliss sich bei den Holländern eine Goldene Generation nach der anderen – und immer noch stehen nur drei Vizeweltmeisterschaften und ein Europameistertitel in der Ehrenbilanz.
Vizekusen des Weitfußballs
Warum aber suhlen sich die Deutschen in ihrer Verachtung dem holländischem Team gegenüber? Dass Holland als Schalke oder Vizekusen des Weltfußballs gilt, muss man Häme nennen – ein nicht gerade nobler Charakterzug. Und insgeheim weiß man, dass es nicht gerecht ist, dass drei Sterne auf dem DFB-Trikot prangen und noch keiner auf dem Oranjedress.
1988, als van Basten sein Jahrhunderttor schoss, fuhren wir jedes Jahr nach Holland in den Urlaub. Mir gefielen die kleinen holländischen Häuschen, die weder was von deutscher Strenge noch von Pomp hatten; mir gefiel auch, dass sich niemand hinter Häkelgardinen versteckte. Die Menschen waren freundlich, offen, manchmal derb. Auch das gefiel mir. So wie die niederländische Fußballmannschaft – bis heute.
9 Jul 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Der Fußballer Johan Cruyff ist gestorben. Der frühere Kapitän der niederländischen Nationalmannschaft galt als einer der besten Spieler aller Zeiten.
7:1 gewann die deutsche Nationalmannschaft gegen die Seleção. Nirgendwo rechnete man mit solch einem hohen Halbfinal-Ergebnis. Außer in China.
Im Elfmeterschießen gegen die Niederlande hat der argentinische Keeper zwei Elfmeter gehalten. Oder rollte Ron Vlaars Ball doch noch über die Linie?
Missgunst und Häme schlagen so manchem Fußballstar entgegen. Doch wer Ausnahmespieler als „überschätzt“ abtut, überschätzt sich selbst.
Griechenland hatte die ganze Welt gegen sich. Dabei hat das griechische Team daran erinnert, was Fußball wirklich ist: Arbeit, Arbeit, Arbeit.
Die Fifa ist der Salafist unter den Weltverbänden. Ein verordnetes Fasten ist auch dann einzuhalten, wenn die tropische Sonne knallt.
Im Stellungskrieg gegen Belgien haben die Russen komplett versagt. Wie sollen sie nur gegen die todesmutigen Algerier bestehen?