taz.de -- Nachrichten von 1914 – 23. Juli: Vor Österreichs Schritt in Belgrad
Österreich-Ungarn hat alle Statthalter und Korpskommandanten zurückberufen. Wegen der Krise mit Serbien bereitet das Land bereits die Mobilmachung vor.
Prag, 22. Juli
Wie ich erfahre, werden mit Rücksicht auf die Möglichkeit, dass die Überreichung der österreichischen Note in Belgrad auch zu einem Bruch mit Serbien führen kann, alle Vorbereitungen getroffen. Der Statthalter von Böhmen, [1][Fürst Thun], wurde von seinem Sommeraufenthalt zurückberufen. Er reiste ebenso wie die anderen Statthalter der Monarchie nach Wien, um Mitteilungen über die Lage entgegenzunehmen. Der Statthalter ist darauf direkt nach Prag zurückgekehrt, ohne seinen Urlaub fortzusetzen. Ebenso wurde der Prager Polizeidirektor vom Urlaub zurückberufen. In derselben Weise wurden auch alle Bezirkshauptleute auf ihre Dienstplätze zurückgeholt.
In Voraussicht dessen war ihnen schon vorher mitgeteilt worden, dass sie ihren Aufenthalt nicht zu weit von ihrem Dienstort wählen sollten. Ferner wurden die Korpskommandanten und alle anderen hohen Militärs auf ihre Dienstplätze einberufen. Einberufungen von Militär sind noch nicht erfolgt, aber alle Vorbereitungen zu einer Mobilisation sind bereits getroffen, und die Einberufungskarten für die beurlaubten Mannschaften liegen bereits zum größten Teil bei den Bezirkshauptmannschaften.
Alle Redaktionen der in Österreich-Ungarn erscheinenden Zeitungen wurden von den politischen Behörden darauf aufmerksam gemacht, dass die Lage eine Verschärfung der Presszensur notwendig mache. Alle Meldungen über militärische Maßnahmen und Kriegsvorbereitungen würden daher unnachsichtlich konfisziert werden. Ebenso sei es ratsam Meldungen, die zu einer Panik unter der Bevölkerung Anlass geben könnten, zu unterdrücken. Sonst würden dich die Behörden gezwungen sehen einzuschreiten.
Die verschiedenen Meldungen über gewisse Mobilisierungsvorbereitungen in Österreich können als Beweis dafür dienen, dass die österreichische Regierung entschlossen ist, ihre Forderungen nach Unterdrückung der großserbischen Propaganda bei der Belgrader Regierung durchzusetzen. Es ist nur natürlich, dass die österreichische Regierung, die nicht wissen kann, welche Aufnahme ihre Forderungen in Belgrad schließlich finden werden, die notwendigsten Vorbereitungen für alle Fälle trifft.
Man braucht daher in diesen vorbereitenden Maßnahmen kein Symptom für eine weitere Verschärfung der Lage zu erblicken. Man darf nach wie vor an der Hoffnung festhalten, dass schließlich eine Einigung zwischen Österreich und Serbien über die Forderungen der Wiener Regierung zu erzielen sein wird, zumal bisher nichts dafür spricht, dass irgendeine Macht Serbien zu einer herausfordernden Haltung Österreich-Ungarn gegenüber ermutigen wird.
Quelle: Berliner Tagblatt
23 Jul 2014
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