taz.de -- Kommentar Urlaubsbilder auf Facebook: „Und ihr so?“
You take myself, you take my selfie control: Im Sommer steigt die Selbstdarstellung im Netz. Und man ist permanent am falschen Ort.
Matthias schreibt: „Guten Morgen, Mittelmeer“ und hält seine Kaffeetasse in die Amalfiküste. So geht es weiter: Sonne, Meer, Sardinien, New York, Nizza, dazu Kommentare wie „Und ihr so?“, „Schön hier!“ oder „So lässt sich's leben.“ Nur Katha schreibt gar nichts, grinst dafür um so breiter auf dem Selfie vor einer kambodschanischen Tempelstadt im Dschungel.
Man will den Lieben zeigen, dass es einem gut geht. Früher schrieb man Postkarten. Das hatte rein logistisch schon Grenzen. Dann wurden Karten durch Emails ersetzt. Problemlos mehr Adressaten, aber immerhin musste man ihre Namen noch eintippen. Bei Facebook drängt man das Urlaubsbild gleich allen 531 „Freunden“ auf. Und die sind Gefangene des Urlaubsglücks. Unsere Großeltern folterten ihre Freunde mit Dia-Abenden aus dem Italienurlaub, wir quälen die Daheimgebliebenen, indem wir ihre Timelines zuspammen.
Es nervt! Facebook ist sowieso anstrengend, weil hier alle Leute gleichzeitig super erfolgreich im Job, super aufregend auf Spaß-Events und super entspannt im Urlaub sind. Nur man selbst nicht, man sitzt ja am Computer und guckt ihnen dabei zu. Im Sommer ist es noch widerwärtiger. Fatal: Weil nichts los ist, verscrollt man noch mehr Zeit in den Timelines der Blauen Lagune. Und sieht nur um so mehr perfekte Gute-Laune-Reisefotos von da, wo angeblich etwas los ist: Amalfi, Sardinien, New York, Kambodscha. Noch mehr als sonst ist man permanent am falschen Ort.
Schon zu „normalen“ Zeiten vermittelt einem Facebook ständig das Gefühl, nicht zu genügen, zu wenig spannende Gedanken zu haben, zu wenig spannende Dinge zu tun, zu wenig glückliche Momente als Foto oder Posting festzuhalten. Der Sommer bietet den Overkill, und vielleicht wäre es an der Zeit, endlich mal Konsequenzen daraus zu ziehen.
Aber nicht die, sich all das zusammenzureimen und in den Schwanzvergleich-Wettbewerb einzusteigen. Sondern der blauen Facebook-Soße mal für eine Zeit den Rücken zu kehren: [1][„Gett off the Internet / I'll meet you in the street“] mit Le Tigre grölen und den Facebook-Kontakten für 99 Tage Lebwohl zu sagen. Man muss es auch [2][nicht allein] tun. Ich bin dabei.
6 Aug 2014
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