taz.de -- Oper in Berlin: Keinen einzigen Schritt weiter
In der Deutschen Oper Berlin feiert „Oresteia“ von Iannis Xenakis Premiere – einem Komponisten, der für Klassiker der Nachkriegsmoderne steht.
BERLIN taz | Eigentlich ist die Deutsche Oper geschlossen. Der große Saal wird renoviert. Die erste echte Premiere der Saison kann erst im Januar des kommenden Jahres stattfinden. Aber der Intendant Dietmar Schwarz gönnt seinem Haus trotzdem keine Pause. Es gibt konzertante Aufführungen in der Philharmonie, das Programm der Studiobühne in der ehemaligen Tischlerei ist prall gefüllt - und es gab auch eine Eröffnung der Saison, die sehr wohl erkennen lässt, wohin Schwarz seine Deutsche Oper führen will: Es geht zurück in die radikale Moderne. Letztes Jahr begann die Spielzeit mit einer spektakulären, multimedialen Variation über ein kleines, fast vergessenes Stück von Mauricio Kagel, genannt „Himmelsmechanik“. In diesem Jahr geht Iannis Xenakis voran, der 2001 verstorbene Komponist und Bauingenieur, der Klassiker der Nachkriegs-Moderne wie das Orchesterstück „Metastasis“ hinterlassen hat. Weniger bekannt ist seine Interpretation der Orestie von Aischylos, die er selbst „Musiktheater“ genannt hat. Sie ist 1966 in den USA uraufgeführt worden, aber Xenakis kam zweimal darauf zurück, so wichtig war ihm dieser Stoff. 1987 fügte er ein etwa 15 Minuten langes Duett für Bariton und Schlagzeug ein, das die Figur der Kassandra ins Zentrum stellt. Die Anforderungen an den Sänger sind extrem. Er muss im Falsett Kassandras Klagen singen, in die übergangslos Texte des Chores hinein geschnitten sind, die den Sänger zwingen, ebenso übergangslos in seine natürliche Stimmlage zurückzufallen. Daraus entsteht eine verblüffend dichte, dramatische Szene ohne Handlung. 1992 kam schließlich der große Monolog der Athene aus dem Schluss der „Eumeniden“ von Aischylos hinzu. Wieder muss ein Sänger ständig und ohne Übergang zwischen höchstem Falset und tiefem Bariton hin und her springen, diesmal, weil die Kopfgeburt Athene Frau und Mann zugleich sein soll. Denn nur so konnte sie für Aischylos wie auf für Xenakis befugt sein, den Athenern das Gericht zu verordnen, das den Muttermörder Orest freisprechen kann.
Auf dem Parkdeck
Der Text ist ungefähr 2.500 Jahre alt, und lässt einen noch immer erschauern, weil wir in der Politik noch keinen einzigen Schritt weitergekommen sind. Man muss nur die Zeitung aufschlagen, um zu begreifen, und in der musikalischen Übersetzung von Xenakis ist es noch deutlicher: Nur Recht und Demokratie (auch für die „Fremden in der Stadt“) werden das Morden beenden und Wohlstand schaffen. Xenakis befreit die Orestie von all den Bildungsballast, den sie gewöhnlich im Sprechtheater mit schleppt. Nackt, klar und auf etwa 70 Minuten verdichtet kommt sie daher, brandaktuell in Chören, die altgriechisch sprechen, und dennoch verständlich sind, weil sie eingebettet sind in ein Konzept des musikalischen Theaters, das Worte in Klänge und Rhythmen übersetzt: Ein Meisterwerk, das noch immer Maßstäbe setzen könnte, wenn es häufiger aufgeführt würde. Die Deutsche Oper hat es immerhin versucht, wenn auch unter widrigen Umständen. Gespielt wird auf dem so genannten „Parkdeck“, das eine architektonische Wüste zwischen Verwaltungsbauten und der Blechwand der Remise ist. Eine für große Requisiten dimensionierte Verladerampe dient als Bühne für das Orchester und den Chor, die beide trotz miserabler Akustik einigermaßen zurechtkommen mit dieser nur vordergründig einfachen, oft monodischen Musik, die aber extreme rhythmische Präzision verlangt. Weniger gut gelungen ist die Notlösung leider dem Regisseur David Hermann und Christof Hetzter, der für Bühne und Kostüme verantwortlich ist. Sie haben die Open Air-Situation dazu benutzt, auch mal einen Schaufelbagger auffahren zu lassen, der Atriden-Müll ablädt und die tote Kassandra entsorgt. Warum aber muss der Chor Tiermasken tragen, die nicht so recht erkennen lassen, ob Schweine oder Schafe gemeint sind? Für Xenakis, Mitglied der griechischen KP, war der Chor das Volk, und für Aischylos erst recht. Richtig schlimm ist dann das Ende. Hermann lässt einen Mercedes einrollen, aus dem heraus ein tuntig aufgemotzter Michael Hofmeister, Bariton, die jubelnde Viehherde um ihn herum begrüßt, als hätte die Göttin Athene nun doch endlich Hillary Clintons Präsidentschaftswahlkampf eröffnet. Treuherzig gibt Hermann im Programmheft zu, dass er hier Xenakis nicht habe folgen können. Natürlich nicht, weil er ja schon den Chor nicht verstanden hat. Schade, dass es diesmal für mehr nicht gereicht hat.
10 Sep 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die Klassikbranche in den USA liegt darnieder, wie aktuelle Verkaufszahlen zeigen. Auch der Markt in Deutschland schwächelt.
Kirill Petrenko wird ab 2018 Nachfolger von Simon Rattle. Der neue Dirigent ist sagenumwoben, vor allem wegen seiner Operinszenierungen.
Barrie Kosky, Adam Benzwi, Dagmar Manzel und Max Hopp spielen die musikalische Komödie „Eine Frau, die weiß, was sie will“. Die Dummheit ist besiegt.
Michael Thalheimer hat Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ neu inszeniert. Der Premierenapplaus war – na ja, überwiegend freundlich.
Komponist Hans Krása wurde nach seiner Ermordung in Auschwitz kaum gespielt. Nun wird in Karlsruhe seine Oper „Die Verlobung im Traum“ aufgeführt.
Es ist nicht einfach, sich in den Kosmos von Bernd Alois Zimmermann einzuhören. Die Komische Oper Berlin macht es mit „Die Soldaten“ möglich.
Am Ende macht's die Gaderobe: An der Staatsoper inszenieren Boussard, Lemaire und Lacroix die Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“.
Barrie Kosky hat seine Inszenierung von Rameaus „Castor et Pollux“ aus London an die Komische Oper geholt. Das ist großes Theater auf engstem Raum.