taz.de -- Christopher Lauer verlässt Piratenpartei: Eine Partei für sich

Der Vorsitzende der Berliner Piratenpartei gibt auf – nicht nur das Amt, sondern auch die Partei. Das schwächt den progressiven Flügel.
Bild: Will nicht mehr: Christopher Lauer.

BERLIN taz | Einer der bundesweit bekanntesten Piraten meutert: Der Berliner Landesvorsitzende Christopher Lauer verlässt die Partei. „Ich bin aus Partei raus, bleibe in der Fraktion“, [1][twitterte er] am Donnerstagnachmittag. Daraus ergibt sich, dass er offenbar plant, sein Mandat im Abgeordnetenhaus zu behalten. In einer Mail an den übriggebliebenen Parteivorstand nannte er als Rücktrittsgrund, es gebe im Vorstand „keine Mehrheit für meine bei meiner Wahl angekündigten Vorhaben zur Professionalisierung der Partei“, [2][berichtet die B.Z.]

Lauer war von 2010 bis 2011 als politischer Geschäftsführer im Bundesvorstand der Piraten für die Einführung des Online-Abstimmungstools „Liquid Feedback“ verantwortlich. Bei seinen Auftritten in Talkshows, im Parlament und auf Parteitagen demonstrierte Lauer immer wieder sein Redetalent sowie seinen schnellen und scharf urteilenden Verstand; er gefiel sich auch in der Rolle des Provokateurs. Mit seinen politischen Vorstellungen konnte er sich zuletzt allerdings nicht mehr durchsetzen.

Schwächung des linkeren Flügels

Lauers Austritt bedeutet auch eine Schwächung des linkeren Parteiflügels. Dieser laut Selbstbezeichnung „progressive“ Parteiflügel stellt Themen wie ein bedingungsloses Grundeinkommen oder die Legalisierung von Drogen stärker in den Vordergrund sowie den Kampf gegen Neonazis, Rassismus und Sexismus. Der weniger linke, „sozialliberale“ Flügel pocht dagegen stärker auf die Kernthemen der Piraten: Datenschutz, Transparenz, Reform des Urheberrechts, mehr direkte Mitbestimmung der Bürger.

Die Mitglieder des Berliner Landesverbandes gehören mehrheitlich dem linkeren Flügel an. Als Lauer im März zum Landesvorsitzenden gewählt wurde, hatte er einen klaren innerparteilichen Führungsanspruch artikuliert: „Die schöne Stärke des Berliner Landesverbandes war ja in der Vergangenheit, dass wenn wir hier auf Landesebene was klargekriegt haben, dass das dann auf wundersame Weise später auch im Bundesprogramm der Partei stand. Und da sollten wir glaube ich wieder hin.“

Doppeltes Fiasko für Lauer

Auf dem folgenden Bundesparteitag erlebte Lauer ein doppeltes Fiasko. Seine Bewerbung für den Bundesvorstand wurde nicht zugelassen, weil er das Formular falsch ausgefüllt hatte. Bei den Wahlen setzten sich dann ausschließlich Personen aus dem sozialliberalen Flügel durch.

Nach dem Parteitag setzte Lauer sich dafür ein, dass der Berliner Landesverband aus der Piratenpartei herausgelöst wird. „Abspaltung? Ja“, [3][schrieb er auf Twitter]. Auch in dieser Frage konnte sich Lauer aber nicht durchsetzen. Jetzt entschied er sich für die private Abspaltung von der Partei.

Daniel Wesener, der Berliner Landesvorsitzende der Grünen, [4][twitterte]: „Bestürzung in allen anderen Fraktionen: Will der etwa zu uns?“

18 Sep 2014

LINKS

[1] http://twitter.com/Schmidtlepp/status/512582736222355456
[2] http://www.bz-berlin.de/landespolitik/christopher-lauer-tritt-aus-der-piratenpartei-aus
[3] http://twitter.com/Schmidtlepp/status/486417193979371520
[4] http://twitter.com/dpwes/status/512582965625643008

AUTOREN

Sebastian Heiser

TAGS

Christopher Lauer
Piratenpartei
Geldanlage
Piratenpartei
Piratenpartei
Christopher Lauer
Piratenpartei
Piratenpartei
Piraten
Piratenpartei
Piratenpartei

ARTIKEL ZUM THEMA

Piraten-Abgeordneter Lauer: Interview nur gegen Kohle

Christopher Lauer redet nur mit der taz, wenn die ihm 500 Euro zahlt. Das ist ein bundesweit einzigartiger Vorgang, so der Journalistenverband.

Zerfall der Piratenpartei: Hoffnungsträger wird Auslaufmodell

Einst verband man mit der Piratenpartei die Hoffnung auf einen progressiven, linken Liberalismus. Was ist davon übrig geblieben?

Austrittsboom bei den Piraten: „Ich habe hier nichts mehr verloren“

Binnen weniger Tage haben mehrere prominente Mitglieder die Piratenpartei verlassen. Nach Lauer geht nun auch Netzaktivistin Domscheit-Berg.

Piratenpartei in Berlin: Nötigung, Bedrohung, Wahlfälschung

Christopher Lauer kam mit seinem Rücktritt einem Amtsenthebungsverfahren zuvor. Der Bundesvorstand erhob schwere Vorwürfe gegen ihn.

Lauer verlässt die Piraten: Erster Mann über Bord

Berlins Landeschef Christopher Lauer tritt überraschend zurück und verlässt die Partei. Der 30-Jährige bleibt aber Mitglied der Fraktion.

Kommentar zu Lauers Abgang: Die Themen bleiben wichtig

Mit dem Parteiaustritt von Christopher Lauer ist auch das Ende der Berliner Piraten absehbar. Leider. Denn die Fraktion hat sich Anerkennung im Parlament verdient.

Piraten-Abgeordneter in Berlin: Nicht mehr immun gegen rechts

Ein Pirat verliert wegen Ermittlungen gegen ihn seine Immunität. Es könnte sich um einen bekannten Trick von Neonazis handeln.

Grüppchenbildung innerhalb der Partei: Piraten bekommen Flügel

Der Politikstil der Piraten nähert sich etablierten Parteien an: Sie bilden innerparteiliche Flügel, in denen sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutieren.

Mitglieder wollen Abspaltung: Freiheit für Berlins Piraten

Die Mitglieder des Berliner Landesverbands wollen eine Trennung von der Bundespartei prüfen lassen. Hintergrund ist ein andauernder Richtungsstreit.