taz.de -- Finanzamt im Nationalsozialismus: Ein Netzwerk der „Verwertung“

Das Finanzamt hat seine Rolle im Nationalsozialismus aufarbeiten lassen. Dabei zeigt sich auch die engagierte Beteiligung von Speditionen an den Plünderungen.
Bild: Solche Geräte sicherte sich das Finanzamt für eigene Zwecke

„Die Finanzämter sind (…) im Kampf des nationalsozialistischen Reichs gegen das Judentum in vorderster Front eingesetzt.“ Dieser Satz aus der Deutschen Steuerzeitung von 1939 entsprang durchaus keiner Selbstüberschätzung. Wie intensiv auch das Bremer Finanzamt, damals „Oberfinanzdirektion Weser-Ems“, an der Ausplünderung beteiligt war, beweist nun eine Studie der Uni Bremen. Auftraggeberin ist die Behörde selbst, besonders Staatsrat Henning Lühr setzte sich dafür ein.

Zweieinhalb Jahre haben ForscherInnen um den Historiker Jaromír Balcar die Akten analysiert – und dabei das Bild eines dichten Netzwerkes von Spediteuren, Auktionatoren und Gerichtsvollziehern herausgearbeitet, die die Amts-Vorgaben exekutierten. „Die Ausplünderung ist die Vorstufe zum Holocaust“, sagt Balcar – wobei sie zeitlich freilich erst nach den Deportationen ihre volle Wucht entfaltete: Dann ließ das Finanzamt die verlassenen Wohnungen ausräumen und „verwerten“. Zuvor hatte man die Juden mit immer neuen Sondersteuern bedrängt.

Bremen hatte 1933 mit 1.300 Mitgliedern eine vergleichsweise kleine jüdische Gemeinde, aber den Auswandererhafen. Zusammen mit Hamburg wurde hier der allergrößte Teil der reichsweiten jüdischen Emigration abgewickelt. Die meisten ihrer Umzugskisten wurde vor der Einschiffung beschlagnahmt.

Einen zweiten großen „Warenschub“ für die Bremer Auktionen erbrachte die „Aktion M“, der Transport des Eigentums der westeuropäischen Juden ab 1941 ins „Reich“. Über 5.988 Waggon- und zahlreiche Schiffsladungen mit mehr als 45.000 Kubikmeter Mobiliar, so hat das Team von Balcar recherchiert, landete in Bremen. Es gibt keine Schätzungen darüber, ein wie großer Teil der Bremer Bevölkerung davon profitierte. Klar ist jedoch, dass sie bekannt waren – Anzeigen etwa in der Weser-Zeitung warben ausdrücklich.

Bevor der Besitz jedoch unter den Hammer kam, galt es etliche Vorkaufsrechte zu berücksichtigen. Propagandistisch wichtig war, den „Fliegergeschädigten“ zu neuem Mobiliar zu verhelfen. Nicht nur die Gatin des Gauleiters hatte bevorzugten Zugriff, auch das Finanzamt selbst. Es nutzte ihn etwa zur Akquise von 20 Scheibmaschinen des Typs „Erica“. Sie waren bis 1952 im Bremer Finanzamt im Einsatz.

Die ForscherInnen konnten sich auf die Unterlagen des Staatsarchivs und des Finanzamtes stützen, die Kooperationswilligkeit anderer Beteiligter scheint sich dagegen sehr in Grenzen gehalten zu haben. Die Bitte der Forscher um Akteneinsicht bei Kühne + Nagel, W. Neukirch und anderen Speditionen wurde mit einem kurzen „nichts vorhanden“ quittiert.

Die Wahrscheinlichkeit, in Firmenarchiven fündig zu werden, ist noch größer als im Finanzamt. Denn die hiesige Behörde setzte den Berliner Rundbefehl, bei Näherung der Alliierten kompromittierende Aktengruppen zu vernichten, konsequenter um als viele andere Ämter.

Die Firmen beteiligten sich nicht nur im Rahmen ihrer „normalen“ Geschäftsabläufe an den Ausplünderungen, sondern bemühten sich mit großem Engagement um entsprechende Transport- und Lageraufträge, sowohl von staatlicher als auch von privater Seite. Neukirch etwa verschickte flächendeckende Angebote an Menschen mit Nachnamen wie „Goldberg“ – und erntete empörte Reaktionen von nicht-jüdischen Namensträgern.

„Man braucht für antisemitische Aktionen nicht unbedingt Antisemiten“, folgert Balcar. Ein ökonomisches Anreizsystem reiche völlig, um Ausplünderung zu organisieren. Auch unter den Bremer Finanzbeamten seien eher wenige explizite Nazis gewesen – was die Effizienz ihres Vorgehens nicht schmälerte.

26 Nov 2014

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Henning Bleyl

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Bremer Mahnmal zur „Arisierung“
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