taz.de -- Legendäre Basement Tapes komplett: Alle Kellergeister gehoben

Die sagenumwobenen Gesamtaufnahmen der Songs, die Bob Dylan und The Band 1967 als „The Basement Tapes“ machten, sind endlich veröffentlicht.
Bild: Entspannt war er auch: Bob Dylan in Woodstock, 1967

Über die herausragende Bedeutung der „Basement Tapes“ für das Werk Bob Dylans im Speziellen und die gesamte Popgeschichte im Allgemeinen wurde andernorts schon viel geschrieben. Deswegen soll es hier um einen anderen Aspekt der neuen Veröffentlichungen von „The Basement Tapes: Complete“ und deren Budgetversion „The Basement Tapes: Raw“ gehen: Wer das 1975 erschienene Doppelalbum (oder die Doppel-CD) „The Basement Tapes“ von Bob Dylan & The Band liebt, wird sich womöglich verschaukelt fühlen angesichts der Erkenntnisse, die die Neueditionen an den Tag fördern.

Das beginnt bei der Tatsache, dass nur ein Teil der Songs tatsächlich im Keller des sagenumwobenen „Big Pink“ in Woodstock aufgenommen wurden, andere in den Wohnzimmern von Bob Dylan oder Band-Bassist Rick Danko. Es geht weiter mit der Enthüllung, dass die Aufnahmen von 1967 später mit Overdubs aufgehübscht und von Stereo zu Mono künstlich reduziert wurden. Und es endet mit dem Eingeständnis, dass jene acht Songs auf dem 1975er Doppelalbum, auf denen The Band ohne Dylan spielt, aus anderen Sessions und Zeiten stammen, davon wohl drei erst unmittelbar vor der Veröffentlichung aufgenommen wurden. Ein pophistorischer Skandal?

Der Böse wäre dann Robbie Robertson, Gitarrist und Hauptsongschreiber von The Band, der das Doppelalbum seinerzeit kompilierte und produzierte. Bob Dylan hat ja bereits 2008 mit der Veröffentlichung von „Tell Tale Signs: The Bootleg Series Vol. 8 – Rare and Unreleased 1989–2006“ einem Produzenten nachträglich das Misstrauen ausgesprochen. Damals traf es Daniel Lanois, der in den achtziger und neunziger Jahren einige Dylan-Produktionen beaufsichtigt hatte und mit seinem etwas kitschig-theatralischen Pastiche-Sounddesign zumindest im Nachhinein nicht den Geschmack des Maestros traf, weswegen die Songs noch mal in „de-produzierten“ Versionen der Öffentlichkeit vorgelegt wurden.

Komplizierter Fall

Bei den „Basement Tapes“ liegt der Fall jedoch komplizierter. Ähnlich wie bei „Smile“ von den Beach Boys waren die „Basement Tapes“ nie ein Album. „Smile“ wurde lange vor seiner Fertigstellung abgebrochen, die „Basement Tapes“ waren sogar nie als Album geplant, sondern nur ein Haufen Aufnahmen unterschiedlicher künstlerischer und technischer Qualität.

Es waren erst die Bootlegger, die daraus Alben zusammenstellten, die die Fantasie und das Verlangen des Publikums beförderten. Und als Dylan nach einem künstlerischen Tief 1974 mit „Blood On The Tracks“ Fans und Kritiker wieder besänftigt hatte, hielt er den Zeitpunkt für günstig, den Mythos aus der Welt zu schaffen und eine repräsentative Auswahl aus den „Basement Tapes“ legal zu veröffentlichen. Für Robertson bedeutete das, aus einem Haufen fertiger, halb fertiger und nur skizzenhafter Dylan-Originale sowie aus der Laune des Moments ausgewählter Coverversionen, die allesamt von der Klangqualität her nicht den Hi-Fi-Anforderungen des Jahres 1975 genügten, ein marktkonformes Doppelalbum produzieren zu müssen, das den selbstkritischen Maestro und dessen ewig misstrauische Fans gleichermaßen zufriedenstellte.

Legitime Produktion von Robertson

Darin hatte er kolossalen Erfolg: Auch wenn weiterhin gebootlegt wurde und immer neue Aufnahmen aus jenen Sessions auf den Markt tröpfelten, zog niemand in Zweifel, dass Robertsons Produktion das legitime „Basement Tapes“-Album darstellte. Bis jetzt. „The aim was not to make ’records‘, which Robbie Robertson did so beautifully on the 1975 Columbia Records release“, heißt es jetzt etwas süffisant in den Linernotes zu „The Basement Tapes – Raw“.

Ihm, der das genau weiß, denn er wirkte bei den Aufnahmen schließlich maßgeblich mit, das jetzt vorzuwerfen und demonstrativ alle Overdubs, die er für die 75er-Veröffentlichung aufnahm, zu entfernen und die acht Songs ohne Dylan wegzulassen, wirkt brutal und etwas ungerecht. Schließlich hatte his Bobness dem Kollegen Robertson ja die Aufgabe übertragen, aus dem Material ein Album zu machen. Und Robertson ging an diese Aufgabe mit dem Geist eines Produzenten, nicht mit dem eines Archivars oder Konservators.

„Verité recordings“, wie die neuen Aufnahmen im gleichen Text bezeichnet werden, zur Veröffentlichung auszusuchen, war schlicht nicht seine Aufgabe. Dies alles gesagt habend, muss man allerdings zugeben: „The Basement Tapes – Raw“ ist vielleicht doch die bessere Zusammenstellung.

Das Weglassen der Overdubs wirkt sich nicht großartig aus, aber die hier hinzugekommenen Dylan-Originale übertreffen bei Weitem die weggelassenen The-Band-Aufnahmen: Die Originalversion von „Quinn The Eskimo“ (aka „The Mighty Quinn“) oder unbekannte Titel wie „Dress It Up, Better Have It All“, „All You Have To Do Is Dream“ und „Sign On The Cross“, dazu das erst im Soundtrack zum gleichnamigen Film 2007 veröffentlichte „I’m Not There“ und eine wilde Version von „Blowin’ In The Wind“ sind allesamt absolut klassischer Dylan-Stoff.

Die Coverversionen, vor allem aus dem Countrysektor, wie etwa Johnny Cashs „Folsom Prison Blues“ oder Hank Snows „I Don’t Hurt Anymore“ wirken hingegen eher wie Füllmaterial. Davon gibt es jede Menge auf der „Complete“-Box mit sechs CDs, zudem unterschiedliche Takes und kleine Songschnipsel. Zielgruppe: vor allem Dylanisten, Dylanologen und Dylanetiker.

Von den acht The-Band-Aufnahmen vermisst man vor allem „Reuben Remus“ und womöglich „Ain’t No More Cane“, das in der geglätteten und polierten Version, gesungen von Levon Helm, mehr Glanz ausstrahlt. Um die Verwirrung vollzumachen, tauchten von diesen Songs die meisten im Jahre 2000 als Bonus Tracks auf der remasterten Version des Band-Debütalbums „Music From Big Pink“ schon mal auf. Vielleicht gibt es demnächst auch davon eine „definitive“, „complete“ Version mit weiteren „Basement Tapes“-bzw. „Red Room“-Tracks.

1 Dec 2014

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Diederichsen

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