taz.de -- Kommentar Antidemogesetz in Spanien: Angst verbreiten, mundtot machen
Das „Gesetz zur Sicherheit der Bürger“ bedeutet das Ende der wichtigsten demokratischen Freiheiten. Es geht darum, Proteste im Keim zu ersticken.
Spanien schafft die Demonstrationsfreiheit ab. Nein, das ist keine Übertreibung. Was da als „Gesetz zur Sicherheit der Bürger“ verkauft wird, ist ein tiefer Eingriff in die Grundrechte. Künftig entscheiden nicht die Gerichte, ob es bei den unzähligen Sozialprotesten – allein in Madrid waren es im vergangenen Jahr über 3.000 – zu irgendwelchen gesetzwidrigen Aktionen kam. Das bestimmt fortan allein die Polizei. Jedwede oppositionelle Äußerung, jedweder Protest, sei er noch so klein, wird vom neuen Gesetz erfasst.
Aus zivilem Ungehorsam kann so rasch ein Vergehen werden, das zwischen 100 und 600.000 Euro kosten kann. Die Polizei, die in den letzten Jahren immer wieder falscher Anschuldigungen gegen Demonstranten überführt wurde, kann künftig ohne jegliche richterliche Kontrolle bestrafen.
„Knebelgesetz“ nennen das die Kritiker. Der Ausdruck ist noch viel zu schwach: Das Gesetz bedeutet de facto das Ende der wichtigsten demokratischen Freiheiten. Während Hunderte korruptionsverdächtige Politiker in Gemeinden, Regionen und auch in der Zentralregierung unter dem Konservativen Mariano Rajoy weiter im Amt sind, ist der Protest gegen diese Machtclique, gegen den sozialen Kahlschlag, gegen die Privatisierung des gesamten öffentlichen Bereichs künftig illegal.
Die Bevölkerung soll nicht nur mundtot gemacht werden. Es geht darum, Angst zu verbreiten, Proteste im Keim zu ersticken. Würde Russland oder Venezuela solch ein Gesetz erlassen, wäre die Empörung aller aufrichtigen Demokraten in der EU nicht zu überhören. Aber es geht um Spanien. Und damit um die Rettung des Euros, des Bankensystems, der Austeritätspolitik, um die Zufriedenheit der Märkte. Was sind gegen so hehre Ziele schon ein paar Grundrechte?
11 Dec 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die spanische Regierung reguliert mit ihrem Gesetz das Verbreiten von Inhalten über soziale Medien. Das trifft nicht nur Journalisten.
Das umstrittene „Gesetz zur Sicherheit der Bürger“ macht Alltagsdelikte schnell teuer. Die Nationalpolizei ist mit der Neuerung zufrieden.
Das Demonstrieren wird in Zukunft teuer. Die Polizei kann jetzt nach Gutdünken empfindliche Geldbußen verhängen, „zur Sicherheit der Bürger“.
22 Milliarden Euro gingen zur Rettung an die Großbank Bankia. Kräftig zugegriffen haben Spitzenmanager, Politiker und Gewerkschafter.
Das Verbot einer Unabhängigkeitsabstimmung durch das spanische Verfassungsgericht akzeptieren die Katalanen nicht. Zehntausende fordern ein Referendum.
Die USA lassen Jorge Verstrynge nicht mehr einreisen. Wie aus einem Rechten der Vater einer sozialen Bewegung wurde. Ein Portrait.
Rund eine Million Menschen fordern in Barcelona mehr Unabhängigkeit von Madrid. Die hatte ihnen das Verfassungsgericht verwehrt. Es geht dabei vor allem ums Geld.