taz.de -- Die Wahrheit: In der Kirche des Wenzel Storch
Der beste Regisseur der Welt macht Theater in Dortmund. Dort begibt er sich auf die Reise zu Heuschrecken und Pornokrokodilen.
„Eigentlich finde ich Theater total doof“, murmelte der tollste Regisseur aller Zeiten und blickte ratlos auf die Packung Oblaten und die Glückwunschkarte zur Erstkommunion, die ich ihm im Foyer des Dortmunder Schauspielhauses als Premierengeschenk feierlich überreichte.
Eineinhalb Stunden später stand er auf der Bühne und verbeugte sich vor dem nicht enden wollenden, tosenden, frenetischen Applaus. Die Menschen im Publikum konnten nicht aufhören zu jubeln und zu toben, ihre Gesichter waren vor Freude gerötet, sie strahlten vor Glück und Begeisterung, die Stimmung kochte – und ich dachte, dass bald der ganze Laden in die Luft flöge.
Was war in diesen eineinhalb geheimnisvollen Stunden, in denen normale Theaterbesucher zu völlig enthemmten und verzückten Geschöpfen mutierten, was war in diesen außergewöhnlichen und bedeutenden eineinhalb Stunden nur passiert? Ich will es verraten: Wenzel Storch, der berühmte Filmemacher, dessen Gesamtwerk von der Zeit als „gottverdammt prächtig, umwerfend komisch und elendiglich poetisch“ bezeichnet wurde, der Messias der Ausstattung, der uns mit Filmen wie „Sommer der Liebe“ und „Die Reise ins Glück“ begeisterte, dieser Heilige Geist im T-Shirt hatte sein erstes Theaterstück uraufgeführt.
„Komm in meinen Wigwam“ ist eine fröhliche und skurrile Pilgerreise in die wundersame Welt der katholischen Aufklärungs- und Anstandsliteratur. Im Mittelpunkt steht das Werk des ehemaligen Würzburger Prälaten Berthold Lutz, der in den fünfziger und sechziger Jahren so etwas wie ein Oswalt Kolle der katholischen Sexuallehre war und dessen zwanzig Bücher bizarre Schmöker voll unbewusster Ferkeleien waren, die inzwischen längst aus allen Pfarrbüchereien verbannt sind und so herrliche Titel trugen wie „Frechdachs lernt Anstand“ oder „Peter legt die Latte höher“.
Im Stück geht ein Kaplan mit seinen kleinen Freunden auf eine Pilgerreise in die wunderbare Welt der christlichen Sexualmystik. Er führt sie in ein „magisches Reich voll frischgrüner schwellender Stengel, praller Fruchtstempel und nickender Kelche“ und macht sie und sich beim Mondschein am Lagerfeuer mit dem „Wunderbau“ ihres Leibes vertraut.
Unterwegs begegnet man Heuschrecken und Pornokrokodilen, die Ministranten stoßen auf eine geheimnisvolle Filmdose, die aus den Geheimarchiven der Augsburger Puppenkiste stammt. Dieses brisante Filmmaterial zeigt eine turbulente „Popel-Ralley“, bei der die Popel sämtlicher Messdiener der Welt zum Papst in den Vatikan gebracht werden.
Es war das lustigste, fidelste und ausgelassenste Theaterstück, das ich in meinem ganzen Leben jemals gesehen habe. Es war wie „Alice im Wunderland“ für verklemmte Katholiken mit Stock im Arsch. Wenn es dereinst eine Kirche Wenzel Storch geben wird, dann liegt ihre Errichtung in eben jenen eineinhalb Stunden begründet, da sich gewöhnliche Theaterbesucher in ekstatische Wesen verwandeln. Geheiligt sei Wenzels Name! Sein Reich komme! Amen!
17 Dec 2014
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