taz.de -- Streit um Legida-Teilnehmerzahlen: Zahlen-Kampf in Leipzig
Nach Angaben der Leipziger Polizei waren am Mittwoch 15.000 Legida-Anhänger auf der Straße. Wissenschaftler gehen von höchstens 5.000 aus.
BERLIN taz | Zahlen sind Macht. Je größer, desto mächtiger, je kleiner, desto schmächtiger. Häufig sind sie das einzige Mittel, um Relevanz auszudrücken. Wie hoch ist dein Gehaltsscheck? Wie viele Zentimeter hat dein Penis? Wie viele Klicks dein Artikel?
Auch für Bewegungen – ob links, ob rechts – sind Zahlen die härteste Währung. Seitdem in Dresden und anderen Städten Pegida-Bewegte für die Verteidigung des Abendlandes auf die Straße gehen, wird jede Woche aufs Neue gemutmaßt, ob es nun mehr werden oder weniger. Welche Stadt hat die meisten Islamhasser zu bieten, welche die meisten Gegendemonstranten?
Zuletzt hat sich Leipzig am Mittwoch in den Wettkampf gestürzt. Großmundig hatten die Legida-Obersten im Vorfeld vom „Marsch der 60.000“ gesprochen. Reporter vor Ort gingen eher von [1][einem Zehntel aus]. Laut Polizei kamen aber [2][immerhin 15.000 Legida-Anhänger] – bei 20.000 Gegendemonstranten.
Wer diese Polizeizahlen anzweifelte, bekommt nun neues Futter. Wissenschaftlich fundiertes noch dazu. Soziologen der Universität Leipzig [3][haben nachgezählt]. Sie haben Fotos in Quadrate unterteilt und ausgewertet (Ergebnis: 4.100), den Demozug in Reihen unterteilt [4][und geklickert] (Ergebnis: 4.850) und sogar in Videos jeden einzelnen Teilnehmer gezählt (Ergebnis: 3.800). Laut Statistikexperte Stephan Poppe dürfte demnach die tatsächliche Teilnehmerzahl bei 4.000 bis 5.000 liegen.
Die Leipziger Polizei schreckt Wissenschaft nicht ab. Auch sie hat gezählt. Aus Hubschraubern. Zweimal sogar, denn „man verschätzt sich ja leicht", wie Polizeipräsident Bernd Merbitz [5][der Leipziger Volkszeitung] sagte. Am Ergebnis hält er fest. Klar, er kann ja nicht zugeben, dass seine Beamten schlechter mit Zahlen umgehen können als diese dahergelaufenen Birkenstockträger von Soziologen. Die können ja auch nur auf ihre Ergebnisse kommen, weil bei ihnen [6][der Zähler geklemmt hat] – was die Wissenschaftler [7][scharf zurückweisen]. So geht es munter zu im Zahlenstreit zu Leipzig.
Und es bleibt die Frage: Cui bono? Wissenschaftler wollen Wissen schaffen, warum sollen sie ihre Zahlen verdrehen? Die Polizei dagegen, ja, die kann schon einmal durcheinander kommen. War ja auch dunkel und kalt und unübersichtlich. Und irgendwie muss man ja den größten Polizeieinsatz in der Leipzig nach der Wende auch noch rechtfertigen.
23 Jan 2015
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