taz.de -- Kolumne German Angst: Hauptsache Familienfrieden
Wenn Ausländer gejagt und Flüchtlinge aus dem Land gewünscht werden, dann sind deutsche Befindlichkeiten Thema.
Letzte Woche lief „Wir sind jung. Wir sind stark“ an, ein Spielfilm von Burhan Qurbani, der die rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992 nacherzählt. Aus einer bestimmten Perspektive.
„Hier geht es doch nicht um Sinti und Roma oder Vietnamesen. Hier geht es um den Frust der Deutschen“, sagt einer der Lokalpolitiker im Film. Und er hat recht. Zwar ist der Stoff wie gemacht für einen Politthriller – einen, der das an Beihilfe grenzende Hin-, Her- und Wegschieben der Verantwortlichkeit zwischen Stadt und Land unter die Lupe nimmt. Der Film aber zieht sich ins Private zurück, wo von Verantwortung keine Rede mehr sein kann. Nur von Befindlichkeiten. Er hat nur Augen für die Täter.
„Frust“, „Wut“, „Angst“ – Begriffe der Empathie, die man damals nur für den Mob vor dem Sonnenblumenhaus übrighatte. Nicht für jene, die drinnen um ihr Leben bangten. Begriffe, die auch die jüngste Debatte prägen, in der die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung zur Pegida-Pressestelle wurde, bei „Günther Jauch“ die Sorgen der Neurechten besprochen wurden und Sigmar Gabriel auf Tuchfühlung ging. Kuschelkurs eben.
Bloß ganz normale Rassisten
Auch die Filmhelden sind keine strammen Nazis, sondern verlorene Kids aus der trostlosen mecklenburgischen Platte, bloß ganz normale Rassisten, Ordnungsfanatiker, denen, wenn nicht alles bleibt, wie es war, die Hutschnur hochgeht. Oder eben der Arm.
Apropos, jene Rostocker Ikone im eingepissten Jogger sieht man auch im Film: Ein schlechtes Double hebt da den Arm. Ob das ein Witz ist? Oder ein Zitat aus der deutschen Popkultur? Das Original jedenfalls schämte sich Jahre später für den missverstandenen Fleck. Der Hitlergruß war nicht erklärungsbedürftig, der Arm war nämlich „ganz automatisch“ hochgegangen – und wem ist das nicht schon passiert?
Genau. Wir gehören nämlich alle zu dieser hässlichen Familie, deren Geschichte von Qurbani erzählt wird. Der Vater des farblosen Lokalpolitikers erklärt die Generationsfolge so: Mein Vater war Faschist, ich war gegen ihn Kommunist, du warst gegen mich Demokrat – jetzt frag dich mal, was dein Sohn sein wird!
Aus dem Mülleimer der Geschichte
Die Lichtenhagener Nazis jedenfalls, die nach dieser Kollektivküchenpsychologie wohl aus dem Mülleimer der Geschichte noch einmal als Farce zurückgekehrt waren, vermischen sich bis zur Ununterscheidbarkeit mit der Nachbarschaft, stimmungsmäßig irgendwo zwischen Pogrom und Volksfest. Die verfolgten BewohnerInnen kamen nur knapp mit dem Leben davon.
Und wer wurde mit Belohnungen beschwichtigt? Die tobende Familie. Sie hatte all ihre Ziele erreicht: Wohnheim geräumt, Ausländer weg, Asylrecht beschnitten. Und die Ordnung wiederhergestellt.
So ein bisschen klingt das nach der Taktik eines Jens Spahn, der in der ARD den Pegidisten erklärte, warum ihre Forderungen längst überholt sind: Die Bundesregierung nämlich war schneller gewesen, hat etwa mit der Erklärung des halben Balkan zu sicheren Drittstaaten dafür gesorgt, dass kaum mehr jemand kommen oder gar bleiben kann. Und schon ist der Familienfrieden wiederhergestellt.
28 Jan 2015
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Nach Protesten und Pöbeleien von rechts zieht der Sozialsenator die Einrichtung einer Asylunterkunft zurück.
Empathiefähigkeit? Die reicht genau bis an die eigene Türschwelle und hat höchstens so Schrebergartenradius. Was bleibt, ist das Ressentiment.
Bisweilen erzählen Nazis, sie hätten von nichts gewusst. Die Worte, in denen sie sich nicht erinnern wollen, können einem den Schlaf rauben.
Ziel des Aufenthaltsbeendigungsgesetzes war das Bleiberecht für Geduldete. Für viele Flüchtlinge bedeutet es aber das Gegenteil – Ausweisung oder Haft.
Feuer auf eine Synagoge – kein Antisemitismus. Anschlag auf einen jüdischen Supermarkt – kein Antisemitismus. Die deutsche Logik ist relativierend.
Nette deutsche Frauen als NS-Täterinnen? Kann nicht sein. Oder doch? Aber nur, wenn sie gewaltig einen an der Waffel haben.
Ein alter Kampfbegriff ist wieder aufgetaucht. Einer, der verwendet wird, um Gruppen aus der Gemeinschaft auszustoßen.
Der australische Historiker Clark zeigt: Die Deutschen wirken menschlich. Und ihre Nazi-Familien-Soaps sind zum Wohlfühlen.
Der Deutschen liebstes Hobby ist das Beleidigtsein. Wolf Biermann hat den Sound dazu kreiert. Viele eifern ihm nach: rumpelig, laut und vorwurfsvoll.