taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Kirchen sind auch zu muslimisch

Der Innenminister wirft den Kirchen eine Scharia-Mentalität vor und beweist damit Originalität. Das Kirchenasyl gehöre dringend abgeschafft.
Bild: Deutschlands Reiche sind noch reicher als erwartet

Jetzt ist er aber wirklich ärgerlich, der Innenminister. Die Kirchen benehmen sich als wären sie Muslime. Wo sind wir denn? Schluss mit dem Kirchenasyl!

„Das geht eben nicht, dass eine Institution sagt, ich entscheide jetzt mal, mich über das Recht zu setzen. Ich will mal ein etwas anderes Beispiel nehmen: Die Scharia ist auch eine Art Gesetz für Muslime. Sie kann aber in keinem Fall über deutschen Gesetzen stehen.“ Ob de Maizière findet, dass auch die Kirchen nicht zu Deutschland gehören, so wie der Islam? Für einen Christdemokraten wäre das eine originelle Haltung.

Natürlich beanspruchen Kirchen generell Sonderwege für sich – siehe etwa das Tarifrecht, das nicht für sie gilt. Aber bei der „Flüchtlingsfrage“ verlangt de Maizière nun Linientreue, packt die Keule aus und ruft: „Scharia!“ Ob der Mann ein noch schlimmeres Schimpfwort kennt?

Immer Ärger mit Dublin

Die einen sagen 200, die anderen gehen von 500 Menschen aus, die derzeit den Schutz der Kirche genießen. Sie werden vorerst nicht abgeschoben, sondern ihr Fall muss erneut geprüft werden. Angesichts der steigenden Zahl von Geflüchteten, ist diese Gruppe sehr klein. Worum geht es also?

Der Streit zwischen Kirche und Politik dreht sich vor allem um das Dublin-III-Gesetz. Dieses legt fest, dass ein Flüchtling dort um Asyl ansuchen muss, wo er oder sie in Europa das erste Mal gezwungen wird, Fingerabdrücke machen zu lassen. Trotzdem haben 2013 rund 21.000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt – und es wurden nur knapp 5.000 in die für sie offiziell zuständigen Länder abgeschoben. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) scheint nicht immer im Sinne des Innenministers zu arbeiten – gleichwohl deren Präsident Volker Schmidt sich müht, diesen Verdacht auszuräumen.

Die Kirchen spielen als moralische Instanz eine Rolle im Umgang mit Flüchtlingen. Klar. Aber Caritas und Diakonie zählen auch zu den großen Institutionen, die sich konkret um Geflüchtete Menschen kümmern, und auch Gemeindearbeit bedeutet immer öfter auch Flüchtlingsarbeit.

Und so dürfte es de Maizière nicht um die 200 oder 500 Leute gehen, sondern darum, die Kirchen an seiner Seite zu wissen, wenn die Kriminalisierung von Schutzbedürftigen Not tut. Und die ist dringend geboten.

Innenminister will die totale Gleichgültigkeit

Trotz internationaler Großereignisse wie die Verhandlungen in Minsk um einen Waffenstillstand in der Ostukraine und trotz des Ringens der neuen griechischen Regierung um eine sozialverträglichere EU-Politik, – wieder wurde auch über die nächste Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer berichtet. 300 Menschen sind ertrunken. Das „Flüchtlingsthema“ verschwindet einfach nicht mehr aus der Berichterstattung. Auch den bitterarmen Kosovo zukünftig als sicheres Herkunftsland einzustufen, sorgte für Widerspruch. Die Zeit der totalen Gleichgültigkeit ist vorbei.

Jede ZeitungsleserIn weiß, dass Familien nur dann ihre Sporttasche packen, ihre Kinder auf den Arm nehmen und Richtung Deutschland loslaufen, wenn sie in ihrem Land keinerlei Überlebenschance mehr sehen. Und doch werden sie als Wirtschaftsflüchtlinge ergo Schmarotzer entwürdigt. Als ob Nahrung und Schulbildung keine Menschenrechte wäre.

Selbstverständlich ist de Maizière mit seiner Menschenverachtung nicht allein. Pegida-Anhänger und wankelmütige AfD-Wähler werden sie seiner Partei womöglich danken und auch einige Granden der katholischen Kirche signalisierten umgehend Versöhnungsbereitschaft. Gerne wolle man wieder zum Zustand vor der ministerlichen Entgleisung zurückkehren, hieß es. Auf der Leitungsebene der Prostestanten regt sich indessen noch Widerstand.

So stellte der Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau fest, dass es beim Kirchenasyl darum ginge, „Grundrechte zu wahren“ – zumal in den Fällen, bei denen die Abschiebung „eine echte Verletzung der Menschenrechte“ sei.

Blutsauger mit einwandfreiem Pass

Eine gerechte Flüchtlingspolitik bedeutet Umverteilungspolitik. Wie nötig die sogenannte NormalbürgerIn diese hat, zeigt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Zweierlei fand es heraus: 1. Das geschätzte Gesamtvermögen der Deutschen ist um 3 Billionen höher als bislang angenommen. 2. Die Reichen sind noch reicher als gedacht. Ihnen gehört ein Drittel des Gesamtvermögens, dem reichsten 0,1 Prozent sogar 14 bis 16 Prozent.

Flüchtlinge als finanzielles Problem zu deklarieren, lenkt den Blick also in die völlig falsche Richtung. Nicht sie, die etwa 0,15 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, saugen das Land aus, sondern das 0,1 Prozent, dessen Zugehörigkeit zur Bundesrepublik Deutschland völlig unstrittig ist.

13 Feb 2015

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Ines Kappert

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