taz.de -- Kommentar Gewalt im Jemen: Tödliches „Jeder gegen jeden“
Islamisten schüren den Glaubenskrieg, die Gewalt im Jemen nimmt immer weiter zu. Das Land droht zu zerfallen. Und der Westen ist ratlos.
Wie weit muss ein Staat noch zerfallen, bevor er endgültig als „failed state“ gilt? In keinem Land scheint diese Frage berechtigter zu sein als im Jemen. Nicht wegen der Terroranschläge auf zwei Moscheen in der Hauptstadt, sondern weil angesichts des täglichen „Jeder gegen jeden“ vom staatlichen Gerüst des Landes praktisch nichts mehr geblieben zu sein scheint.
Seit Monaten bereits kontrollieren die schiitischen Huthi-Rebellen Sanaa, der von ihnen entmachtete Präsident Hadi versucht, aus dem südjemenitischen Aden seine Rückkehr vorzubereiten, und gerät dabei ins Schussfeld seines Vorgängers Saleh, der heute die Huthi unterstützt, die er zuvor bekämpft hatte. Dieser Machtkampf ermutigt nun die im Jemen besonders starke „al-Qaida der Arabischen Halbinsel“, sich auch wieder einzumischen.
Wobei bisher unklar ist, ob die Angriffe auf die Moschee auf ihr Konto gehen oder ob der Islamische Staat dabei ist, im Jemen Fuß zu fassen. Obwohl al-Qaida und IS einander in Syrien bekämpfen, könnten sie anderswo – in Nigeria, Tunesien, Libyen und Jemen – versucht sein, ihre ideologischen Gemeinsamkeiten hervorzuheben, um – wie al-Qaida es nach dem 11. September tat – sich als „Weltmacht im Werden“ zu präsentieren.
Zu diesen Gemeinsamkeiten gehört die hasserfüllte Ablehnung der schiitischen Muslime, die von beiden als Ketzer und Gottlose bekämpft werden. Das wiederum ist Anlass für die Staaten der Region, ihre ähnlich begründeten Animositäten in entsprechende Politik umzumünzen: So unterstützt der Iran die Huthi, während die Saudis die etwa 40 Prozent Schiiten im Jemen als „fünfte Kolonne“ des Iran betrachten. Und der Westen ist ratlos: Die Lage ist derart konfus, dass keiner mehr keinem traut und der Niedergang des Jemen immer unaufhaltsamer wird.
23 Mar 2015
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