taz.de -- Die Wahrheit: Endlich wird's schön – Harry R.: 70.

Man gratuliert ja nicht vorab, aber im Falle Harry Rowohlts kann der Gratulationsreigen nicht früh genug eröffnet werden...
Bild: 16. April 2003. Harry Rowohlt während einer Lesung im Hamburger St. Pauli-Theater.

Um zwölf Uhr mittags wache ich aus dem Koma auf. Am Abend zuvor hatte ich mit Harry Rowohlt in einer Buchhandlung in Arnsberg gelesen. Der Laden war rappelvoll, man hatte einen Nebenraum geöffnet, in den die Lesung per Lautsprecher übertragen wurde. Harry trank wie immer Whiskey, ich blieb zunächst bei Mineralwasser. Nach zweieinhalb Stunden war Pause. Ich beschloss, nach der Pause ebenfalls zum Whiskey zu greifen. Nach vier Stunden sagte Harry zum Publikum: „Ich bewundere euch dafür, dass ihr so lange auf harten Holzstühlen ausharrt und dabei zuschaut, wie sich zwei ältere Herren betrinken.“ Eine Stunde später zogen wir in den irischen Pub gegenüber, der trotz Ruhetag für uns geöffnet hatte. Der Rest des Abends ist mir nur schemenhaft in Erinnerung.

Um fünf nach zwölf klingelt das Telefon in meinem Hotelzimmer. Harry sagt, es sei Zeit zum Aufstehen. Ob wir frühstücken wollen, frage ich ihn. „Ich bin längst wieder in Hamburg und habe schon eine Seite übersetzt“, brummt er. Harry Rowohlt ist nicht nur ein wunderbarer Vorleser, der immer wieder in Erzählungen abschweift, sodass er eine Kurzgeschichte auf zwei Stunden ausdehnen kann; er ist auch Kolumnist, Penner in der Lindenstraße, Autor und vor allem ein genialer Übersetzer. 147 Bücher hat er bisher geschafft. Das erste war „Die grüne Wolke“ von A. S. Neill, dem Erfinder der antiautoritären Erziehung.

Am liebsten hat er Flann O’Brien übersetzt. Das passt, die beiden könnten aufgrund ihres Hangs zu Alkohol und skurrilem Humor Brüder sein. Durch O’Briens Bücher entdeckte Harry Irland. Aber seine Lieblingsstadt ist Hamburg, durch deren sämtliche Kneipen er mich an einem langen Abend stolz geschleppt hat.

Kennengelernt haben wir uns Mitte der neunziger Jahre in Dublin. Es war Liebe auf den ersten Blick. Harry hatte mich überredet, ihn in die „International Bar“ zu begleiten. Dort spielten die „One Eyed Rattlers“, eine von Harrys fünf Lieblingsbands, eine Bluegrass-Country-Rock-undsonst-was-Band, die manchmal auch „Honky Tonk Woman“ spielt. „Wenn Mick Jagger je gesehen hätte, wie hundsgemein er da parodiert wird, hätte er sich längst aus dem Geschäft zurückgezogen“, meinte Harry. Es wurde wieder ein langer Abend.

Mit der Sauferei ist es inzwischen vorbei. Er hat Polyneuropathie mit unklarer Genese. „Das ist ein Euphemismus für Suff“, sagt er. Der Arzt hat ihm den Alkohol verboten, jedenfalls fast: Viermal im Jahr darf er noch zur Flasche greifen. Das nächste Mal wahrscheinlich am kommenden Freitag. An dem Tag wird Harry Rowohlt nämlich siebzig.

Herzlichen Glückwunsch, mein Lieber, obwohl man eigentlich nicht vorher gratuliert. Mach weiter so, du hast es versprochen: „Ich werde wahrscheinlich doch ein bisschen länger mitmachen, obwohl Polyneuropathie in den Extremitäten beginnt und sich langsam zum Zentrum vorarbeitet“, hat er mal gesagt. „Ich werde also im Schnelldurchlauf so dumm, wie die meisten Menschen bereits sind. Und dann wird’s endlich schön.“

23 Mar 2015

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Ralf Sotscheck

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