taz.de -- Macrons Reformprogramm: Große Erwartungen

Er soll Terror und Arbeitslosigkeit bekämpfen, Korruption bestrafen und die sozialen Probleme lösen. Dafür ist eine Menge Optimismus gefragt.
Bild: Wird das Süppchen, das Macron kocht, den Franzosen schmecken?

Paris taz | Der Wahlsieger hat keine Verschnaufpause. Die Erwartungen der WählerInnen an den neuen Staatspräsidenten sind gewaltig. Seine Prioritäten müssen diesen Bedürfnissen entsprechen. Wenn Meinungsforscher fragen, welche Themen die neue Staatsführung anpacken muss, werden stets drei Dinge genannt: Sicherheit, Arbeitslosigkeit und Einwanderung. Emmanuel Macron muss aber auch der Desillusionierung gegenüber den Parteien, dem verbreiteten Pessimismus und ausgeprägten Niedergangsängsten eine optimistischere Stimmung entgegensetzen, die schon Markenzeichen seiner Kampagne war.

Seine Politik basiert auch auf dem Versprechen „Ensemble la France“: Er will die zerstrittene und an sich zweifelnde Nation mit seinem Projekt versöhnen. [1][Da hat er sich sehr viel vorgenommen]. Aber er vermied, unrealistische Zielmarken für Reformen zu formulieren, wie es seine Vorgänger Nicolas Sarkozy und François Hollande getan hatten.

Er hat vor der Stichwahl den Kampf gegen den Terrorismus als seine absolute Priorität bezeichnet.

Er weiß, dass seine Landsleute das von ihm erwarten, und er ist realistisch genug, um in den kommenden Wochen und Monaten mit weiteren Attentatsversuchen von Dschihadisten aus dem In- und Ausland zu rechnen. Zu diesem Zweck bleiben die umstrittenen Notstandsgesetze in Kraft. In seinem Programm ist vorgesehen, 10.000 zusätzliche Polizisten und Gendarmen zu rekrutieren. Dies wird allerdings ebenso wenig wie die geplante Schaffung einer Quartierspolizei alltägliche Delikte und Kleinkriminalität rasch eindämmen. Etwas unklar ist, wie die Idee einer dreimonatigen „militärischen“ Dienstpflicht für alle Jugendlichen verwirklicht werden soll.

Eine von Macrons ersten Maßnahmen soll die Rückkehr der Moral in die Politik sein. Frankreichs Politiker sind in der Volksmeinung weitgehend diskreditiert durch all die Korruptions- und Unterschlagungsaffären im Zusammenhang mit der Finanzierung von Wahlkampagnen oder Parteizentralen.

Moral und Politik

Das „Penelopegate“ des konservativen Kandidaten François Fillon und auch die laufenden Ermittlungen wegen Scheinbeschäftigungen von parlamentarischen Assistenten des Front National haben verdeutlicht, dass es immer noch Praktiken am Rande oder deutlich jenseits der Linie des Straffälligen gibt. Macron möchte ausnahmslos verbieten, dass Abgeordnete und Senatsmitglieder Familienmitglieder auf Staatskosten beschäftigen dürfen. Um Interessenkonflikte zu verhindern, soll den Volksvertretern auch untersagt werden, parallel zu ihrem Mandat bestimmte Consulting-Berufe auszuüben, die dem Lobbying für private Interessen dienen können. Die Zahl der Abgeordneten (heute 577) soll um ein Drittel verringert werden. Auch die von den Bürgern gewünschte Transparenz der Staatsführung soll besser werden.

Ein Mal pro Jahr möchte der neue Präsident vor den versammelten Parlamentskammern Rechenschaft abgeben und seine Pläne darstellen. Damit künftig alles schneller geht, will Macron wenn immer möglich Änderungen mit Dekreten herbeiführen, was nicht unbedingt demokratischer wäre. Man hat in Frankreich in unschöner Erinnerung, wie unpopuläre Maßnahmen wie die Arbeitsmarktreform unter Präsident Hollande mithilfe des Verfassungsartikels 49.3 unter Umgehung des Parlaments durchgesetzt wurden.

Ebenso dringend wie eine bessere Moral wird eine Steigerung der Kaufkraft und endlich auch eine effiziente Politik zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Zwei große Hindernisse will Macron dabei mittels einer „Modernisierung“ beseitigen: Die Unternehmen klagen nicht nur über zu hohe Abgaben, sondern auch über bürokratische Zwänge, die alles komplizieren und verlangsamen, was Unternehmer von Investitionen abhält. Zweitens sind die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern mehr von Kraftproben als von sozialem Dialog geprägt. Jetzt will Macron sie zur Zusammenarbeit zwingen.

Bisher galt die Regel „Zuerst wird gestreikt, danach wird diskutiert“. In Zukunft sollen staatliche Vereinbarungen durch Übereinkünfte auf Branchen- und Unternehmensebene außer Kraft gesetzt werden können. Was Macron an mehr „Unternehmensfreiheit“ schaffen will – notfalls mit Dekreten statt auf dem langen parlamentarischen Weg –, stellt aus der Sicht der Gewerkschaften eine ernste Bedrohung ihrer Errungenschaften, der arbeitsrechtlichen Garantien, wenn nicht gar des „Sozialmodells“ der letzten Jahrzehnte dar.

Sparen und investieren

Die neue Wirtschaftspolitik ist ein Mix aus liberalen Reformen und herkömmlichen staatlichen Investitionen. Den vorgesehenen Einsparungen von 60 Milliarden Euro und dem Abbau um 120.000 öffentlichen Stellen stehen Investitionen von 50 Milliarden Euro in die Bildung, die Energiewende, die Gesundheit, die Landwirtschaft, die Modernisierung der Verwaltung und des öffentlichen Verkehrs gegenüber. Die Kaufkraft der Arbeitnehmer soll durch die teilweise Verlagerung der Beiträge für die öffentlichen Sozialversicherungen vom Lohn auf die Steuern sowie die Abschaffung einer lokalen Wohnsteuer (taxe d’habitation) rasch und spürbar steigen.

Bildung ist für Macron der Schlüssel für die Probleme des Zusammenlebens in Frankreich, namentlich die Integration und den Abbau territorialer Benachteiligungen (Stichwort „Banlieue“), ist. In bestimmten Bildungsregionen sollen darum die Schüler der unteren Klassen besser gefördert werden, indem die Klassengröße auf zwölf Kinder gesenkt wird.

9 May 2017

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AUTOREN

Rudolf Balmer

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