taz.de -- Homophobie in Russland: Alles Queere sitzt dem Kreml quer
Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten passt nicht ins Bild von Wladimir Putins konservativem Russland. Ein Blick auf die LGBTQ-Community.
Mit dem Ende der Sowjetunion war es auch mit der [1][Verfolgung von Homosexualität in den meisten Nachfolgestaaten] der UdSSR vorbei. In dieser wurden gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Männern seit 1934 mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft.
Im Jahr 1991 schafften die Ukraine, 1992 Lettland und Estland, 1993 Litauen und Russland, 1994 Belarus die Strafbarkeit der Homosexualität ab. In Russland entstand eine kleine, aber lebendige LGBTQ-Community. Die 90er Jahre waren eine Blütezeit der russischen LGBTQ-Community, es entstanden Zeitschriften wie Queer und Aids-Hilfen. 2006 wurde das russlandweite LGBT-Netz gegründet, im selben Jahr gab es den ersten Gay-Pride-Marsch in Moskau. Alle weiteren Versuche von [2][Gay-Pride]-Märschen scheiterten indes an Behörden und Gegendemonstranten.
Im vergangenen Jahrzehnt wehte der russischen LGBTQ-Bewegung ein härterer Wind entgegen. Das Putin’sche Russland wollte sich abgrenzen von „Gayropa“, das auf die Vernichtung traditioneller russischer Werte abziele. Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten passte nicht mehr ins Bild eines konservativen, antiwestlichen Russlands.
Im Jahr 2013 wurde per Gesetz „Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen“ verboten. Nachdem 2012 per Gesetz unliebsame Organisationen zu „ausländischen Agenten“ erklärt werden konnten, ist das russische LGBT-Netzwerk zum „ausländischen Agenten“ erklärt worden. Andere LGBTQ-Organisationen haben sich aufgelöst, wollten sie doch die mit diesem Begriff verbundene Stigmatisierung vermeiden. Auch die im Juli 2020 verabschiedete Verfassungsreform schreibt ein konservatives Familienbild, die „Ehe als Vereinigung von Mann und Frau“, fest.
Besonders tragisch: die Lage in Tschetschenien
Wenn es um sexuelle Minderheiten geht, braucht sich die russische Regierung nicht vor großem Widerstand in der Bevölkerung zu fürchten. Über die Hälfte der Bevölkerung, so das Levada-Institut, verhalte sich ablehnend gegenüber sexuellen Minderheiten.
Beamte, die im Dienst Angehörige sexueller Minderheiten diskriminieren, können dies ohne Furcht vor Strafe tun. Zu einem Zeitpunkt, als sie noch „männlich“ im Pass stehen hatte, sei sie bei der Musterung als „Päderast“ und „Perversling“ beschimpft worden, berichtet die Moskauer Transfrau Anna der taz. Mitte April hatten Moskauer Behörden ein Filmfestival zur Unterstützung der LGBTQ-Bewegung verboten, seit März 2019 wird Yulia Tsvetkova wegen ihres Eintretens für die Rechte von Frauen und LGBTI in ihrer Heimatstadt Komsomolsk-na-Amure strafrechtlich verfolgt und schikaniert. Sie verbrachte fast vier Monate unter Hausarrest.
Besonders tragisch ist die Lage in Tschetschenien. Seit Februar sind Salech Magamadow (20) und Ismail Isajew (18) in einem tschetschenischen Gefängnis. Beide werden vom russischen LGBT-Netzwerk betreut und sind gefoltert worden.
Im Juli 2020 waren sie von Tschetschenien nach Nischnij Nowgorod geflohen. Doch von dort waren sie im Februar verhaftet und in ein tschetschenisches Gefängnis gebracht worden. Am 23. März hatte die tschetschenische Polizei 23 Verwandte der beiden festgenommen. Kurz nach diesen „Gesprächen“ fürchtet das Russische LGBT-Netz nun erneut um ihr Leben. Dieses Mal drohe ein „Ehrenmord“ durch Verwandte, die sich von dem Ruch, etwas mit Homosexualität zu tun zu haben, befreien wollten.
Auch in anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion weht der LGBTQ-Community ein härterer Wind entgegen. Zehntausend Menschen haben am Samstag in der litauischen Hauptstadt gegen einen Gesetzentwurf zur Einführung eingetragener Partnerschaften für Lesben und Schwule demonstriert. In der Ukraine können Veranstaltungen sexueller Minderheiten nur mit starkem Polizeischutz durchgeführt werden.
Am heutigen Montag halten Mitglieder von Quarteera e. V., einer Organisation russischsprachiger Lesben, Schwuler, Bisexueller, Trans*-Personen und ihrer Freunde in Deutschland und Amnesty International in Berlin eine Mahnwache für Salekh Magamadov, Ismail Isaev und Yulia Tswetkowa ab.
17 May 2021
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