taz.de -- Haftars Rebellen greifen an: Libyen-Frieden zerschossen

Haftars LNA beschießt den Hafen der libyschen Hauptstadt Tripolis. Die Regierung reagiert und setzt die Gespräche über einen Waffenstillstand aus.
Bild: Der brennende Frachter „Anna“ im Hafen von Tripolis nach dem Angriff

Tunis taz | Nach einem Raketenbeschuss des Hafens von Tripolis durch die Libysche Nationalarmee (LNA) des aufständischen Generals [1][Chalifa Haftar], der die libysche Hauptstadt belagert, hat die libysche Einheitsregierung von Ministerpräsident [2][Fajis Sarradsch] die Gespräche über einen Waffenstillstand für Libyen aufgekündigt.

Am Dienstagmittag waren im kommerziellen Teil des im Zentrum von Tripolis gelegenen Hafens vier Raketen eingeschlagen. Aufnahmen zeigen brennende Lagerhallen. LNA-Sprecher Ahmed al-Mismari sprach von einem Angriff auf ein mit Waffen beladenes Frachtschiff.

Nach libyschen Medienberichten starben drei Menschen unweit des unter albanischer Flagge fahrenden Frachtschiffes „Anna“, das vor dem Halt in Tripolis bis zum 15. Februar im türkischen Hafen Mersin gelegen hatte. Es ist unklar, was an Bord war, die Botschaft der LNA aber ist klar: Lieferungen an die Einheiten der Regierung werden zukünftig ohne Rücksicht auf zivile Opfer angegriffen.

Ministerpräsident Sarradsch kündigte noch am Abend auf einer Pressekonferenz in Tripolis an, die „5 plus 5“- Gespräche zwischen den libyschen Kriegsparteien auszusetzen. Bei diesem auf der [3][Berliner Libyen-Konferenz] beschlossenen Format kommen je fünf Offiziere beider Seiten unter UN-Aufsicht zusammen, um die bisher nur mündlich beschlossene brüchige Waffenruhe in einen schriftlich vereinbarten Waffenstillstand zu verwandeln.

Just am Dienstag hatte in Genf der zweite Dialog der zehn Offiziere stattgefunden, ohne ein direktes Zusammentreffen der beiden Seiten, so der UN-Sonderbeauftragte Ghassan Salamé.

Waffenruhe könnte zusammenbrechen

Bereits letzte Woche war mit Suk al-Juma ein weiteres Wohngebiet der libyschen Hauptstadt vom Kriegsgeschehen getroffen worden. Mehrere Raketen, vermutlich von der LNA abgeschossen, gingen in dem Wohngebiet unweit des Stadtzentrums nieder. Der Beschuss des Hafens eskaliert die Lage weiter.

Sollte die Waffenruhe tatsächlich vollständig zusammenbrechen, dürfte sich das Kampfgeschehen auf Gaddafis ehemalige Heimatstadt [4][Sirte] sowie auf Tahouna konzentrieren, von wo aus Haftars Luftwaffe ihre Einsätze in Tripolis fliegt.

Nach Informationen der taz bereiten regierungstreue Gruppen einen Vorstoß gegen die dortigen Nachschubrouten Haftars vor. Spezialisten der türkischen Armee haben rund um die von Verbündeten der Regierung kontrollierte Hafenstadt Misrata bereits ein Netzwerk von Luftabwehrraketen und Störsender gegen Drohnen aufgebaut.

Neue Waffenlieferungen

Der türkische Präsident Erdoğan drohte nach dem Angriff auf den Hafen von Tripolis in einem Interview mit dem türkischen Staatssender TRT, die Sarradsch-Regierung so zu unterstützen, dass sie Libyen „dominieren“ könne, sollte es bei den derzeitigen diplomatischen Initiativen kein faires Ergebnis geben.

Haftar wurde zeitgleich am Mittwoch in Moskau empfangen. Französische Medien berichten, dass Haftars Luftwaffe sechs Kampfhubschrauber der brasilianischen Armee angeschafft hat.

19 Feb 2020

LINKS

[1] /Libyischer-General-Chalifar-Haftar/!5583304/
[2] /Machtkampf-in-Libyen/!5291384/
[3] /Kaempfe-und-Waffenfluege/!5660471/
[4] /Neue-Kaempfe-in-Libyen/!5654752/

AUTOREN

Mirco Keilberth

TAGS

Schwerpunkt Libyenkrieg
Tripolis
Chalifa Haftar
Fajes al-Sarradsch
Libyen
Schwerpunkt Libyenkrieg
Libyen
Schwerpunkt Libyenkrieg
Schwerpunkt Libyenkrieg

ARTIKEL ZUM THEMA

Corona in Libyen: Ein Gegner mehr

Das Bürgerkriegsland ist auf die Pandemie unvorbereitet, muss aber jetzt damit umgehen. Vor allem die Flüchtlinge sind schutzlos.

Krieg in Libyen: 3.000 Kamele evakuiert

Weil der Hafen von Libyens Hauptstadt unter Beschuss stand, musste ein Großimport in Sicherheit gebracht werden: lebende Kamele aus Australien.

Einsatz im Mittelmeer: Embargo gegen Libyens Warlords

Die EU will mit einer neuen Militärmission die Einhaltung des Waffenembargos in Libyen überwachen. Kann das gelingen?

Ex-UN-Beauftragter über Libyenkrieg: „Eine aktivere Haltung Europas“

Die Berliner Libyen-Konferenz war ein Novum, sagt Martin Kobler. Doch die Beschlüsse offenbaren Lücken. Eine militärische Lösung sieht er nicht.

Kämpfe und Waffenflüge: Libyens Krieg geht weiter

Auch nach der Berliner Konferenz wird gekämpft, das Waffenembargo wird gebrochen. UN-Experten haben verdächtige Flugbewegungen registriert.