taz.de -- Grüner Agrarminister zu Klimaprotesten: Özdemir gegen Autobahnblockaden
Der Agrarminister kritisiert die Forderung, Supermärkte zum Spenden nicht verkaufter Lebensmittel zu verpflichten. Aktivisten widersprechen.
Berlin taz | Bundesagrarminister Cem Özdemir sieht die Forderung der Berliner [1][Autobahnblockierer] skeptisch, Supermärkte zum Spenden nicht verkaufter Lebensmittel gesetzlich zu verpflichten. „Zum einen ist es in Deutschland seit vielen Jahren üblich, dass Supermärkte unverkaufte und noch genießbare Lebensmittel auf freiwilliger Basis an die Tafeln oder andere soziale Einrichtungen abgeben“, teilte ein Sprecher des Grünen-Politikers der taz mit. Zum anderen fielen in Deutschland nur 4 Prozent der gesamten Lebensmittelabfälle im Handel an. In Frankreich, dessen Abgabepflicht für Supermärkte die Aktivisten als Vorbild sehen, seien es 2019 14 Prozent gewesen.
Ein Sprecher von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verwies darauf, dass seine Koalition Lebensmittelspenden erleichtern und die Verschwendung verringern wolle. Özdemirs Ministerium kündigte an, Haftungs- und steuerrechtliche Änderungen zu prüfen. Zudem werde es „ambitionierte Zielvereinbarungen“ mit der Wirtschaft verabschieden, um die Abfälle in jedem Sektor zu reduzieren. Özdemir setzt hier also ähnlich wie seine CDU-Vorgängerin Julia Klöckner auf freiwillige Selbstverpflichtungen.
Die Klimaschutz-Initiative „Letzte Generation“ blockiert seit einigen Wochen immer wieder Aus- und Abfahrten von Autobahnen, so auch am Donnerstag in Berlin. Die AktivistInnen fordern, dass große Supermärkte verpflichtet werden, nicht verkauftes, noch genießbares Essen zu spenden – und so gegen den Welthunger vorzugehen und den Treibhausgasausstoß zu reduzieren. In Deutschland wird der Umweltorganisation WWF zufolge fast [2][ein Drittel des Nahrungsmittelverbrauchs] weggeworfen. Die durch Lebensmittelverluste verursachten Treibhausgasemissionen betragen nach Angaben des Umweltbundesamts von 2017 circa [3][4 Prozent] des gesamten deutschen Ausstoßes.
In der Bundesregierung werden die Methoden der AktivistInnen unterschiedlich bewertet. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte am Mittwoch laut Tagesspiegel: „Es ist absolut legitim, für seine Anliegen zu demonstrieren und dabei auch Formen des zivilen Ungehorsams zu nutzen.“ Justizminister Marco Buschmann (FDP) widersprach bei Twitter: „Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund.“ Daraufhin erklärte Lemke wiederum bei Twitter, sie stimme mit Buschmann überein.
Özdemir sagte der taz: „Ich glaube, dass Straßenblockaden unserem gemeinsamen Ziel schaden. Gesellschaftliche Mehrheiten gewinnt man ganz sicher nicht, wenn man Krankenwagen, Polizei oder Erzieherinnen auf dem Weg zur Arbeit blockiert.“ (mit dpa)
10 Feb 2022
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