taz.de -- Gender Pension Gap statt „Stadtbild“: Sicherheit, die sich (nicht) auszahlt

Mal wieder instrumentalisiert Friedrich Merz für seine Politik die Sicherheit von Frauen. Die bräuchte es aber vor allem endlich bei der Rente und auf dem Arbeitsmarkt.
Bild: Die Rente ist für viele Frauen kaum ausreichend, effektive Gleichberechtigung würde das Problem lösen

[1][taz FUTURZWEI] | Der [2][Kanzler] sorgt sich um das Produktivitätswachstum in der Bundesrepublik. Was hier in einer Stunde hergestellt wird, ist zu wenig. Das hat viele Gründe. Einer der wichtigsten ist der Arbeitskräftemangel. Ohne Zuwanderung wird sich daran wenig ändern, das aber juckt den Kanzler nicht. Er schwadroniert lieber von Abschiebungen. Die wichtigste Arbeitsmarkt-Ressource im Land hat er überhaupt nicht im Blick: Frauen und Mütter.

Die Erwerbstätigenquote von Frauen insgesamt ist zwar hoch, aber 70 Prozent aller berufstätigen Frauen arbeiten nur halbtags, unabhängig von der ständig wachsenden Zahl der Hochqualifizierten unter ihnen. Als ob es nie eine Frauenbewegung gegeben hätte, hat sich an den Verhaltensmustern der Frauen nichts geändert. Das hat politische Gründe.

Mutterschaft, die traditionellen Normen des Familienlebens und die von der Politik gesetzten familienpolitischen Rahmenbedingungen befördern den Ausschluss der Frauen vom Arbeitsmarkt. Die Ungleichheit der Verteilung von Lebenschancen zwischen Männern und Frauen wird mit „motherhood penalty“ auf den Begriff gebracht.

Zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes verdienen Frauen in der Republik im Durchschnitt 60 Prozent weniger als davor. [3][Die Verluste an Einkommen und in der Rentenhöhe holen sie in ihrer Lebensarbeitszeit nie wieder auf]. Hier liegt eine der Ursachen für die Altersarmut von Frauen.

Frauen brechen aus und werden bestraft

Mann verdient das große oder auch nur kleine Geld, Frau bescheidet sich mit [4][Halbtags-Arbeit], verzichtet auf die eigene Karriere, übernimmt Kindererziehung, Haushalt und [5][Pflege] der angehörigen Alten. An diesem überkommenen Familienmodell hat sich bis heute nichts geändert.

Brechen Frauen aus diesem Rollenmuster aus, machen Karriere, verdienen das Doppelte der dazugehörenden Männer, folgt oft die Scheidung. Die traditionelle Frauenrolle zu übernehmen, gilt vielen Männern als Zumutung: Viele weichen dann in neue Beziehungen aus, in denen das Lebenschancen-Verteilungsmodell wieder zu ihren Gunsten und zu Ungunsten der Frauen funktioniert.

Sie verbinden das dann oft auch noch mit einem kriegsähnlichen Kampf um das Sorgerecht, das Aufenthaltsbestimmungsrecht und den Unterhalt für die Kinder. Die betroffenen Kinder werden in Wechselmodelle gezwungen, die ihre Entwicklung destabilisieren. Immer mehr Mütter ziehen es vor, sich mit ihren Kindern allein lebend den Fährnissen des Lebens zu stellen.

[6][Elterngeld] und [7][Ehegattensplitting] stabilisieren das Familienmodell, das Frauen aus dem Arbeitsleben ausschließt. Elterngeld nehmen überwiegend Frauen in Anspruch, Männer in der Regel nur wenige Monate. Oder es wird für eine gemeinsame größere Arbeitspause, oft verbunden mit Fernreisen, missbraucht.

Auf die Politik ist (noch) kein Verlass

Das Elterngeld verfestigt die Rolle der Frauen als Hausfrauen und Mütter. Sie werden davon abgehalten, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren und eigene Lebensziele zu verfolgen. Elterngeld gehört abgeschafft.

Das Ehegattensplitting – die durch Addition der Einkommen und der halbierten Veranlagung bei der Einkommenssteuer erzielte Ersparnis beim Familieneinkommen – verfestigt die Rollenverteilung zwischen dem Mann als Hauptverdiener und der Frau als Hausfrau und Nebenverdienerin.

Auch das Ehegattensplitting hält Frauen davon ab, eigene Einkünfte zu erzielen und beruflichen Erfolg für sich zu generieren. Das Ehegattensplitting gehört abgeschafft.

Die [8][Mütterrente] ändert an der Benachteiligung der Mütter im Lebensarbeitsabschnitt nichts. Auch nicht in der von [9][Markus Söder] ([10][CSU]) durchgeboxten Gestalt einer auf drei Jahre erweiterten Zulage der durchschnittlich in einem Jahr erzielten Rentenpunkte pro Kind. Mit ihr wird der Eindruck erweckt, Kindererziehung und Familienarbeit würden von der Gesellschaft gewürdigt, wovon aber keine Rede sein kann.

Der Gender Pension Gap betrug 2023 laut Statistischem Bundesamt 440 Euro. Frauen erhielten eine durchschnittliche Rente von 908 Euro, Männer 1.348 Euro.

Wie der Gender Pension Gap geschlossen wird

Nun ist es so, dass Frauen und Mütter auf dem [11][Arbeitsmarkt] gebraucht werden, aber es werden auch Kinder gebraucht – und zwar mehr als die historisch niedrige [12][Geburtenrate] von derzeit 1,35 Kinder pro Frau. Das Mittel, um beide Ziele zu erreichen, ist eine umfassende [13][Gleichberechtigung].

Es braucht, rechtlich verpflichtend und für alle Arbeitgeber, gleiche Bezahlung von Frauen und Männern. Die motherhood penalty darf es nicht mehr geben. Es braucht kostenlose Krippen und Kindergärtenplätze, was durch den aktuellen Rückgang der Kinderzahlen leicht machbar wäre, sowie eine Kindergartenpflicht ab drei Jahren.

Es braucht flächendeckend für alle Schüler [14][Ganztagsschulen] mit motivierendem Zugang zu höherer Bildung. Es braucht einkommensabhängige Sozialleistungen für Familien. Diese müssen entweder an einen – nachgewiesenen - gleichen Anteil in der Sorge- und Erziehungsarbeit von Vätern und Müttern gebunden sein oder in vollem Umfang für Alleinerziehende gezahlt werden. Es braucht eine Mütterrente, die jeder Mutter bei Erreichen des Rentenalters eine Grundrente in Höhe der Durchschnittsrente für Männer garantiert. Der Gender Pension Gap für Frauen wäre damit Geschichte.

Zur Finanzierung dieser Maßnahmen gehören Steuer- und Beitragserhöhungen für alle, die plausibel begründet werden können. Statt alle Arbeitnehmer als Faulpelze zu diffamieren, könnte Bundeskanzler Merz mit der Unterstützung eines solchen Programms einen Beitrag zur Sicherung der Fachkräfte für den Arbeitsmarkt leisten. Above all wäre Gleichberechtigung von Frauen und Müttern keine Luftnummer mehr.

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11 Nov 2025

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AUTOREN

Udo Knapp

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