taz.de -- Gegen die populistische Gefahr: Warum nicht das Modell Mamdani?

CDU, SPD und Grüne haben kein Politikangebot, das einer Mehrheit Vertrauen geben könnte. Sie sollten sich mal den New Yorker Bürgermeisterkandidaten Zohran Mamdani anschauen.
Bild: „Freeze the rent“ ist ein Wahlverpsrechen Mamdanis – und gilt auch als Wunsch vieler in Berlin.

[1][taz FUTURZWEI] | Egal, wie sie auch reden, egal, was sie tun: [2][CDU/CSU], [3][SPD] und auch den [4][Grünen] fehlt in der öffentlichen Wahrnehmung eine strategische Substanz, die einer Mehrheit Vertrauen in ihre Politik einflößen würde.

Die CDU gilt als Bewahrerin von wie auch immer abgelebten, aber bewährten Strukturen und Ordnungen. Sie steht für einen „Wandel“, der das Vorhandene erhält, in seiner Substanz aber nicht gefährdet.

Die SPD wird als Partei der „sozialen Gerechtigkeit“, als Hüterin des Sozialstaats und seines kontinuierlichen Ausbaus gesehen, als Friedenspartei, wie wolkig auch immer und als Modernisierungspartner, der möglichst niemandem wehtun will.

Die Grünen sind die ökologische Modernisierungspartei, die sich beim Mitregieren-Wollen schamhaft gibt, aber als Träger der großen ökologischen Transformation beachtliche Modernisierungen auf den Weg gebracht hat. Jenseits der [5][Ökologie] allerdings haben die Grünen zu allen anderen großen Fragen der Weiterentwicklung der Gesellschaft konzeptionell nichts beizutragen.

Staats- und Regierungsparteien statt Volksparteien

Alle drei Parteien sind Staatsparteien und Regierungsparteien. Ihren Verfassungsauftrag, nach §21 Grundgesetz an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken, erfüllen sie mehr schlecht als recht. In ihrer Politik haben sie sich eingeschnürt wie in einem Korsett. Ihre Jugendorganisationen haben kein Profil, dass dieses Korsett ihrer älteren Parteifreunde aufreißen könnte. Sie sind nur oder immerhin der bequeme Einstiegsort in die Karrierewege in der Exekutive.

Alle drei Parteien sehen sich als Teile des Herrschaftsgefüges der Republik, als Vollstrecker des von ihnen verwalteten Volkswillens.

Und zwar unabhängig davon, wie viel oder wie wenig Rückhalt sie im Elektorat haben. CDU/CSU generieren in den letzten Umfragen 26 Prozent, die SPD 15 Prozent und die Grünen 11 Prozent Zustimmung. Ganz im Gegensatz zur Selbstwahrnehmung der drei Parteien lässt sich daraus aber kein legitimer Anspruch auf Führung des ganzen Volkes ableiten.

Von Volksparteien, die in der Lage sein sollten, absolute Mehrheiten zu gewinnen, sind sie weit entfernt. In allen drei Parteien gibt es keine politischen Persönlichkeiten, die überzeugende Antworten mit historischem Gewicht auf die großen strategischen Fragen geben könnten.

Die Herausforderungen und die Gefahr des Populismus

Das trifft sich schlecht, stehen die Republik und die [6][EU] doch vor großen strategischen Herausforderungen. Das Wirtschaftsmodell der Republik, das auf fossil betriebenen Industrien vom Maschinenbau und [7][Chemieindustrie] bis zum [8][Automobilbau] aufsetzt, muss entfossilisiert und neu aufgestellt werden, wenn der Republik ihr hart erarbeitetes Lebensmodell erhalten werden soll.

Das wird hunderttausende Arbeitsplätze kosten. Bestimmt wird dieser Umbau von den demographischen Tatsachen, dem Rückgang der Geburtenzahlen und der Erwerbspersonen in der Republik. Die sozialen Sicherungssysteme müssen auf die nachfossile Zukunft umgebaut werden, auch wenn dafür höhere [9][Sozialabgaben] von Unternehmern und Arbeitnehmern erforderlich werden, sowie höhere Zuschüsse aus den öffentlichen Haushalten. Steuererhöhungen für alle, horrible dictu, werden zwingend. [10][Wohnen] muss großflächig dem privaten Markt als Spekulationsfeld entzogen werden.

Gelingt das alles nicht, wird die grundsätzliche Verunsicherung in der Bevölkerung zunehmen und zunehmend Leute den Populisten in die Arme treiben.

Dazu kommt die Notwendigkeit, Verteidigungsfähigkeit auf europäischer und nationaler Ebene herzustellen, angesichts der imperialistischen Bedrohungen [11][Russlands]. Diese [12][Aufrüstung] ist mit gewaltigen Kosten verbunden, was auf Dauer nicht über Kredite finanziert werden kann, sondern aus den ordentlichen Haushalten kommen muss. Schließlich muss mit einer großen Bildungsreform das ganze Potenzial der Kinder und Jugendlichen gehoben werden.

Diese vier Aufgaben, der Aufbau einer entfossilisierten Industrie auf digitaler und [13][KI]-Basis, die Anpassung des Sozialsysteme an die demographischen Tatsachen, die Herstellung von Verteidigungsfähigkeit und eine große Bildungsreform verlangen eine alle drei Parteien übergreifende Anstrengung. Zustimmung dazu wird es nur geben, wenn es einen funktionierenden Sozialstaat gibt, der die Risiken dieses Umbaus abfedert und eine öffentliche Infrastruktur, die die Bereitschaft stärkt, an der großen Transformation mitzuarbeiten.

Wie gesagt: CDU, SPD und auch Grüne haben auf diesem Niveau nichts anzubieten.

Reformsignale aus New York

Signale, wie es gehen könnte, kommen aus [14][New York]. Hier könnte in dieser Woche [15][Zohran Mamdani], 34, zum ersten muslimischen Bürgermeister gewählt werden. Seine israelfeindliche Rhetorik mit offen antisemitischem Klang schmerzend beiseitegelassen, wird er die Wahlen mit einem einfachen, aber für Amerika revolutionären, sozialdemokratischen Programm gewinnen. Er will eine Gratisbetreuung für alle Kinder der Stadt bis zum Alter von fünf Jahren aufbauen. Er will die Mieten in etwa einer Million Wohnungen dauerhaft einfrieren.

Das Busfahren in New York soll prinzipiell für alle Nutzer kostenfrei und der Autoverkehr in der City herunterreguliert werden. Er will stadteigene Supermärkte einrichten, die keine Mieten oder Grundsteuern zahlen müssen, damit sie Lebensmittel preisgünstiger anbieten können. Finanzieren will er dieses Programm mit Steuererhöhungen, die schon im nächsten Jahr 9 Milliarden Dollar einbringen sollen.

Alle New Yorker, die mehr als eine Million Dollar im Jahr verdienen, sollen zwei Prozent zusätzlich Einkommensteuer bezahlen, und der Höchststeuersatz für Unternehmen im Staat New York soll von 7,25 Prozent auf 11,5 Prozent erhöht werden.

Das ist ein leicht nach Europa übertragbares Modell, etwa als Wahlprogramm der Grünen und der SPD in Berlin bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Jahr 2026.

CDU, SPD und Grüne im Bund könnten mit Vorschlagen, die an diesen konkreten Punkten angelehnt sind, ihre engen Korsettstangen aufschnüren, die Wähler positiv verblüffen und die Rahmenbedingungen für die große Transformation verbessern.

Damit hätten sie sogar Chancen, ihren Verfassungsauftrag, bei der Willensbildung des Volkes mitzuwirken, wieder vollumfänglich zu erfüllen. Viel spricht allerdings im Moment nicht dafür.

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4 Nov 2025

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[8] /Automobilbranche/!t5481823
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AUTOREN

Udo Knapp

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