taz.de -- Kommentar von Timm Kühn über zahnlosen Antifaschismus an Unis: Neutralitätsgebot so, dass es der AfD nützt

Dass an Hochschulen gesellschaftliche Entwicklungen kritisch begleitet werden, ist wichtig für jede Demokratie. Wächst zum Beispiel eine faschistische Partei heran, ist es essenziell, dass an Universitäten dazu geforscht wird – ausdrücklich, damit auf dieser Basis der Faschismus besser bekämpft werden kann. Es ist eine Lehre aus dem Nationalsozialismus, dass sich die Wissenschaft gegenüber der Gewalt des Faschismus niemals neutral verhalten darf.

Mit ihrer Absage der [1][Mobi-Veranstaltungen der Studis gegen rechts] gegen die Neugründung der AfD-Jugend in Gießen verfehlen die Leitungen der Freien Universität (FU) und der Humboldt-Universität (HU) diesen Anspruch. Nur das Präsidium der Technischen Universität (TU) hatte am Mittwoch den Mut und die Standhaftigkeit, die Veranstaltung doch stattfinden zu lassen.

Die FU begründet ihre Absage mit dem Gebot der hochschulpolitischen Neutralität. Das besagt, dass sich Universitäten als letztlich staatliche Organe überparteilich verhalten sollen, was konkret heißt: sich nicht für Propaganda einspannen zu lassen. Das leuchtet auch ein. Selbstverständlich darf Wissenschaft keiner Parteidisziplin unterworfen sein.

Doch das ist in diesem Fall gar nicht geschehen. Die FU muss deshalb argumentieren, die Veranstaltung der Studis sei „explizit gegen eine politische Partei“ gerichtet gewesen. Damit setzt die FU zivilgesellschaftliches Engagement gegen die AfD-Jugend mit parteipolitischer Agitation gleich. Zu Ende gedacht, würde das bedeuten, dass jede Veranstaltung, die sich gegen die AfD richtet, illegitim ist.

Das ist genau das Gegenteil der Aufgabe von Universitäten: Sie sollen zu politischer Teilhabe befähigen. Das kann aber nicht bedeuten, nur abstrakte Diskussionen zuzulassen, während konkretes politisches Engagement verhindert wird. Neutrale Leitung einer Universität sollte deshalb bedeuten, jedes Engagement zu ermöglichen, das mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar ist.

Inzwischen haben HU und FU bestätigt, dass im Vorfeld der Absage Beschwerden der AfD gegeben hat – wenn auch die FU beteuert, die AfD sei nicht der Grund für die Absage. Tatsächlich arbeitet die AfD schon mindestens seit [2][den Protesten und Blockaden gegen den AfD-Parteitag in Riesa] daran, den Studis gegen rechts die Räume an den Hochschulen zu nehmen. Schon im Februar 2025 stellte der AfD-Abgeordnete Martin Trefzer beim Senat [3][eine Kleine Anfrage], wie der denn die antifaschistischen Mobi-Veranstaltungen an Unis sehe.

Die damalige Antwort des Senats: „Der Senat bewertet Veranstaltungen mit dezidiert parteipolitischen Werbe- oder Behinderungszwecken […]als Verstoß gegen das allgemeine Gebot zur religiösen und weltanschaulichen Neutralität von Hochschulen.“ Die aktuelle Linie, die dem Antifaschismus an Hochschulen die Zähne zu ziehen droht, wird also auch von der zuständigen Senatorin Ina Czyborra (SPD) mitgetragen. Womit mal wieder bewiesen wäre, dass eine vermeintliche Neutralität eben doch eine Positionierung ist – in diesem Fall eine gegen den Antifaschismus.

14 Nov 2025

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[2] /!6061523&SuchRahmen=Print
[3] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-21616.pdf

AUTOREN

Timm Kühn

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