taz.de -- Unterwegs in Tadschikistan: Per Anhalter durch die Gebirgsgalaxis

Noch nie war unsere Autorin in einem Staat, wo man auf dem Land liberaler ist als in der Hauptstadt. Dann kam sie ins tadschikische Pamirgebirge.
Bild: Ziemlich progressiv im Vergleich zur Hauptstadt Duschanbe: das Pamirgebirge

Die Straße durchs tadschikische Pamirgebirge ist in grauenhaftem Zustand. Sie nennt sich Pamir Highway, aber oft ist sie nicht mal asphaltiert. Als schmaler Streifen schlängelt sie sich an majestätischen Bergen entlang, rechts der senkrechte Abgrund, links hohe Felswände. Oft sperrt Steinschlag den halben Tag die Piste, und allwöchentlich stürzen Lkw-Fahrer in den Tod.

Backpacker:innen in ihren gemieteten Jeeps lieben die wilde Romantik dieser Straße. Die Abgeschiedenheit hat indigene Traditionen bewahrt, den archaischen Lebensstil der Yak-Hirten auf windumtosten Plateaus und die völlig eigenen Sprachen in selbst einander nahen Tälern. Die Einheimischen hingegen, mit denen wir hier [1][per Anhalter] durch die Gebirgsgalaxis kriechen, hassen diese Straße, aus denselben Gründen. Weil sie tödlich ist und die Region im ewig gleichen Zustand einfriert.

Es fühlt sich hier nicht an wie Tadschikistan. Die Menschen gehören zu anderen Ethnien als [2][unten in der Hauptstadt Dushanbe], kleiden sich anders, glauben anders – mehrheitlich sind sie ismailitische Schiiten, nicht Sunniten. Eine pamirische Unabhängigkeitsbewegung scheiterte, Reden darüber kann gefährlich sein. Im Gespräch sagen viele Menschen dennoch automatisch „die Tadschiken“, wenn sie über jene da unten sprechen.

Manchmal treibt diese eigene Welt seltsame Blüten. Noch nie war ich in einem Staat, wo man auf dem Land liberaler ist als in der Hauptstadt. Im Pamir tragen viele Frauen das Haar offen, suchen ihren Mann selbst aus, kleiden sich relativ freizügig – im Gegensatz zu den verhüllten Frauen in der Hauptstadt. „Warum ziehen die sich dort plötzlich an wie Frauen in der Türkei oder in den Golfstaaten?“, klagt eine pamirische Frau. „Das ist nicht unsere Tradition.“ Die eher säkulare Kultur aus Sowjetzeiten ist hier noch verankert. Der politische Islam kommt in die Stadt.

Auch ich habe beim Trampen längst gelernt, die Trucker aus Dushanbe zu fürchten, die im ersten Moment übergriffig werden und im nächsten Bilder ihrer Kinder zeigen. Die Ehen in Dushanbe seien arrangiert, erzählt mir eine junge pamirische Frau, deren Partner uns im Auto mitnimmt. Pamirische Frauen würden deshalb keine Männer von dort nehmen. „Die da unten sind wie [3][in Afghanistan].“

Die da unten und die da oben, wer weiß, wie lange das gut geht, wenn [4][der alte Diktator] mal tot ist. Andererseits ist Macht hier weit weg. Die positivste PR betreibt Nachbar China – weil er derzeit die verdammte Straße asphaltiert. Und wenn China den Pamir annektiert? Ein Lieferfahrer, dem ich diese Frage stelle, weist auf das stille, menschenleere Flusstal. „Welchen Unterschied macht das?“

20 Aug 2025

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[1] /Per-Anhalter/!5973758
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[3] /Schwerpunkt-Afghanistan/!t5008056
[4] /Abschiebungen-nach-Zentralasien/!6064844

AUTOREN

Alina Schwermer

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