taz.de -- Rekorde bei CSD: Raus aus der Blase, rauf auf die Straße

Queer sein ist politisch. In Zeiten des Rechtsrucks werden CSDs zu wichtigen Zeichen für die Demokratie. Das verstehen auch nicht-queere Personen.
Bild: Unter dem Motto „Nie wieder still“ feierte Berlin Queerness

Ich erinnere mich gut an mein erstes Mal: Gemeinsam mit meinem besten Freund und unserer kleinen Clique ging es zur „Sommerschwüle“ nach Mainz – so nennt sich der Verein, der in der Landeshauptstadt die Pride organisiert.

Ich war 17 Jahre alt und nur meine engsten Freund*innen wussten, dass ich bi bin. Mein erstes Mal [1][CSD] fühlte sich gut an – aber auch szenig. Viele Teilnehmenden waren älter oder wenn sie jünger waren, schon etabliert in politischen Gruppen. Dabei sollte jeder, der sich für Demokratie einsetzen will, mitlaufen. Denn die Zeit hat sich verändert: 2025, ist die Stimmung in ganz Deutschland angespannt.

Die extrem rechte AfD gewinnt Wahlen und es gibt spürbaren Gegenwind gegen alles, was irgendwie glitzern könnte oder wo auch nur „queer“ draufsteht. Es gibt Menschen, die gerne die Uhr wieder zurückdrehen wollen. Für diese Leute sind wir eine Bedrohung, weil wir nicht heterosexuell lieben oder in die Schubladen „Mann“ und „Frau“ reinpassen. Und das nicht erst seit gestern: Seit mehr als 50 Jahren erinnert der Christopher Street Day an die Stonewall-Unruhen von 1969 in New York.

Als im Juni der Pride Month 2025 begann, gab es große Ansagen: Diesmal sei der CSD so wichtig wie nie zuvor. Klar, wer würde schon sagen: „Dieses Jahr ist es nicht ganz so relevant wie letztes Jahr?“. Diesmal, so hieß es, müssten sich noch mehr Menschen – gerade die, die nicht selbst betroffen wären – hinter die Rechte von queeren Menschen stellen. Aber steht denn hinter uns tatsächlich so eine große Menge an Verbündeten? Oder sind wir vielleicht nicht doch nur ein Zirkus mit zunehmend schwindender Akzeptanz? Und dann kam der CSD in Mainz 2025. Und der CSD Berlin 2025. Und plötzlich war viel mehr Demo. Und viele mehr, die nicht queer waren. Es scheint, als wäre die betonte Wichtigkeit der Pride im Lichte rechtsradikaler Politikangebote an der Schwelle zur Macht keine Floskel, sondern etwas, das in weiten Teilen der Mehrheitsgesellschaft angekommen ist.

Größte Demo jemals in Rheinland-Pfalz

[2][In Berlin sollen es am vergangenen Samstag laut Veranstaltern Hunderttausende gewesen sein.] Und in Mainz waren über 13.000 auf der Straße. Damit war der diesjährige CSD eine der größten Demonstrationen, die es jemals in Rheinland-Pfalz gegeben hat.

Auf dem CSD Stuttgart kam ein Ehepaar auf mich zu, die mir erzählten, sie hätten mich und meine Musik erst kennengelernt und das erste Mal auf der Stuttgarter Pride wirklich verstanden haben, warum dieser Kampf auch sie betreffe, obwohl sie hetero sind. Unsere Präsenz wirkt also, und zwar gegen Vorurteile.

Wer sieht, wie queere Menschen aussehen, feiern und leben, egal ob auf dem Land oder in der Stadt, der lässt sich nicht mehr von Scharfmachern von rechts etwas anderes erzählen. Und gerade in den kleinen Städten, die nicht Berlin oder Mainz sind, ändert sich etwas. Noch nie gab es so viele CSD-Demos auf dem Land.

Weil gerade dort sonst die Propaganda der AfD und ihres Vorfelds fruchtet, wo keine Berührung zu queeren Menschen besteht. Das Ehepaar in Stuttgart hatte also Recht: Die Angriffe, die gegen unsere queere Existenzen gehen, seien es politische oder gewalttätige, sind bloß der Anfang eines größer angelegten Angriffs auf alle demokratischen Freiheiten in unserer Gesellschaft, die alle betreffen werden. „Protect the Dolls“ heißt eben am Ende doch „Protect the Democracy“.

27 Jul 2025

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AUTOREN

Elya Maurice Conrad

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