taz.de -- Klimaaktivismus: Na, wo laufen sie denn?
Was den Klimaaktivismus unsichtbarer macht? Unser Autor tippt: Doppelmoral, wattige Politik und die Freude am spitzfindigen Sinnieren auf der Couch.
Gute Frage: „Wo ist sie denn hin, die Klimabewegung?“, will die Radiomoderatorin von mir wissen, nachdem sie mich für ein Interview um 7.40 Uhr aus dem Tiefschlaf gerissen hat. Draußen [1][verdorrt das Land], Donald Trump legt die Welt auf seinen Maga-Grill und für Friedrich Merz und Lars Klingbeil ist die Erhaltung der Schöpfung nur [2][nebensächliches Klimagedöns]. Und trotzdem sind die Straßen des Regierungsviertels nicht von überall angeklebten AktivistInnen blockiert. Wie kann das sein?
Es gibt ja gute Gründe dafür, dass die KlimaschützerInnen leiser sind als vor ein paar Jahren: Corona hat die „Fridays“ von der Straße vertrieben; die Klimabewegung von 2018/2019 war so erfolgreich (Green Deal der EU, deutsches Klimaschutzgesetz, Klima-Beschluss des Verfassungsgerichts, Olaf Scholz als „Klimakanzler“), dass viele dachten, das Problem sei gelöst.
Der brutale Überfall Russlands auf die Ukraine, der Terror in Gaza, die Inflation, der [3][Kampf gegen den wuchernden Rechtsextremismus] auf der ganzen Welt – es gibt genug Themen, die die Klimakrise erst mal wieder nach hinten schubsen. Und außerdem ist am 23. Februar die Klimabewegung abgewählt worden. 11,6 Prozent für die einzige Partei, die ernsthaft staatliche und gesellschaftliche Gegenstrategien umzusetzen versucht, heißt eben auch: 88,4 Prozent der deutschen Wahlberechtigten ist ernsthafte Klimapolitik nicht wichtig.
Da kann man jetzt viel jammern. Oder hämische Leitartikel verfassen nach dem Motto „Die Menschheit ist einfach zu blöd, um sich zu retten“. Oder spitzfindig die Logik-Frage diskutieren, was eigentlich von einer Bewegung übrig bleibt, die sich nicht bewegt: das Nichts?
„Weiter-so!“ hat sich durchgesetzt
Wir könnten uns aber auch zusammenreißen und realistisch werden. Und sehen, wie hier David gegen Goliath steht: Ein paar hunderttausend SchülerInnen, die alle paar Monate auf die Straße gehen, gegen einen Staat und eine Wirtschaft, die auf „Weiter so!“ gepolt sind; ein paar NGOs, die zwar von rechten Medien als Influencer mit diabolischer Macht hochgejazzt werden, obwohl die Budgets der fünf großen deutschen Umweltverbände 2019 mit etwa 280 Millionen Euro gerade mal dem PR-Budget von Volkswagen entsprachen.
Oder eine [4][Ex-Greenpeace-Chefin als erfolgreiche und hoch anerkannte Klimabeauftragte], die der Union als Beleg dafür gilt, wie in der Ampelregierung die NGOs die Macht übernommen haben – und [5][dagegen jede Menge Funktionäre aus Bauernverbänden, Energiekonzernen, Media- und Finanzmärkten in der neuen Regierung], an deren Herkunft sich niemand stört.
Und an ihren wolkigen Versprechen erst recht nicht: Ja, wir stehen zu den Zielen des Pariser Abkommens, sagt die schwatz-rote Regierung. Aber wir sagen euch nicht, mit welchen Maßnahmen wir sie erreichen wollen. Oder wir setzen auf wolkige Technologien, die es noch nicht gibt oder die so teuer sind, dass es sie niemals in großem Stil geben wird: CO2-Abscheidung und -Lagerung, [6][Wasserstoff für alle und alles], synthetische Kraftstoffe ohne Ende, Kernfusion (hahaha). Mit diesen Watte-Gebilden bauen wir schrägen Vögel dann Wolkenkuckucksheime gegen die klimapolitische Wohnungsnot.
Wer das sagt und ernsthafte Lösungen einfordert, ist bereits ein Aktivist. Denn die Frage: „Wo ist die Klimabewegung?“ zeigt auch gleich das Dilemma: Es ist die Frage von der Couch, die in der Zuschauer-Demokratie nach der Performance der WeltretterInnen fragt wie ein enttäuschter Helikoptervater: „Jetzt demonstriert doch mal für eure Zukunft, Kinder! Ich kann gerade nicht, muss noch das SUV umparken.“ Wer die Klimabewegung vermisst, sollte einfach selbst auf die Straße gehen. Ob er oder sie da geht, steht oder sich festklebt, ist zweitrangig. Wichtig ist: nicht allein zu bleiben.
23 May 2025
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