taz.de -- Welthandelsorganisation im Zollstreit: Der blockierte Schiedsrichter
Wenn sich die EU vor der Welthandelsorganisation gegen US-Zölle wehrt, ist verbindliche Hilfe nicht möglich: Trump hat das WTO-Berufungsgericht lahmgelegt.
Berlin taz | Nach Ansicht der EU ist Donald Trumps Zollpolitik nicht nur unfreundlich gegenüber seinen Partnern, sondern auch rechtswidrig. Eigentlich prüft die Welthandelsorganisation solche Vorwürfe, doch die USA haben die WTO weitgehend lahmgelegt.
Die Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) wurde 1995 gegründet. Die WTO hat derzeit 166 Mitglieder, die nach eigenen Angaben für 98 Prozent des Welthandels stehen. Ziel der WTO ist es, den Welthandel weiter zu liberalisieren und Handelshemmnisse zu beseitigen. Zölle gelten grundsätzlich als Handelshemmnisse. Es ist aber nicht generell verboten, Zölle zu erhöhen oder neue Zölle einzuführen. Es kommt [1][immer auf die Begründung an].
Die EU sieht Trumps Politik, Zölle zu erhöhen, [2][um die eigene Industrie zu fördern], vor allem als Verstoß gegen das Meistbegünstigungsprinzip. Danach dürfen sich WTO-Mitglieder grundsätzlich nicht schlechter behandeln als ihren jeweiligen Handelspartner mit den günstigsten Konditionen.
Ob Zölle und andere Handelsrestriktionen gerechtfertigt sind, prüft im regelbasierten Handelssystem eigentlich die WTO. Parallel zur WTO-Gründung wurde auch ein Streitbeilegungsmechanismus eingeführt. Kanada hat nach Verhängung der jüngsten US-Zölle bereits ein WTO-Verfahren eröffnet. Die EU dürfte nach Trumps geplanter Zoll-Eskalation folgen.
Ein Teil der WTO funktioniert noch
Ein WTO-Verfahren umfasst vier Stadien. Zunächst verhandeln die beteiligten Staaten bilateral miteinander, wobei die EU nur gemeinsam auftritt. Scheitern diese Konsultationen, wird ein Panel aus drei sachverständigen Schiedsrichtern einberufen, das die Vorwürfe prüft und feststellen kann, ob ein Staat die WTO-Regeln verletzt hat. Gegen diesen Schiedsspruch kann die unterlegene Seite ein Rechtsmittel zum Ständigen Berufungsgremium einlegen. Wenn der Schiedsspruch dort bestätigt wird, kann der zu Unrecht benachteiligte Staat mit Billigung der WTO Strafzölle oder andere Restriktionen gegen den regelverletzenden Staat verhängen.
Die ersten zwei Stufen des Verfahrens funktionieren noch und werden weiter genutzt. Zuletzt hat die EU am 20. Januar Konsultationen mit China in einem Patentstreitfall beantragt. Allerdings ist das Ständige Berufungsgremium seit 2019 nicht mehr arbeitsfähig, weil die USA systematisch verhindert hat, dass die WTO-Mitglieder neue Richter als Ersatz für ausscheidende Richter wählen. Über Rechtsmittel gegen Schiedssprüche kann also nicht mehr entschieden werden, diese werden damit nicht rechtskräftig und verbindlich. Die USA haben das WTO-System dadurch massiv geschwächt und entwertet.
Begonnen hat die US-Blockade-Politik in Donald Trumps erster Amtszeit. Trump behauptete, das Berufungsgericht überschreite seine Kompetenzen und benachteilige die USA systematisch. Die WTO hielt dagegen, dass die USA 85,7 Prozent der entschiedenen Fälle gewinne. Doch Trump war überzeugt, dass die USA eher gemaßregelt werde als etwa China. Auch unter Trumps Nachfolger Joe Biden änderte sich nichts an der WTO-feindlichen Politik der USA, das WTO-Berufungsgericht blieb lahmgelegt. Nun ist Trump wieder Präsident und radikaler denn je. Ende März setzte er die Beitragszahlungen der USA für die WTO aus.
Als Reaktion auf die US-Blockade wurde auf Initiative der EU 2020 ein alternatives Berufungsgericht geschaffen. Inzwischen gehören 54 WTO-Mitglieder, darunter die EU, Japan, China und Brasilien, dieser MPIA-Initiative an. MPIA steht für Multi-Party Interim Appeal Arbitration Arrangement. Das neue Berufungsgericht kann allerdings nur bei Handels-Streitigkeiten unter diesen Staaten genutzt werden. Bei Streitigkeiten mit den USA ist es nutzlos.
EU will auch gegen WTO-Regeln verstoßen
Wenn Donald Trump nun neue Zölle gegen die EU und viele andere Partner verkündet, wird die EU wohl dem Beispiel Kanadas folgen und ein WTO-Verfahren einleiten. Sie kann dabei zwar keinen rechtskräftigen Schiedsspruch gegen die USA erreichen. Es wäre aber schon ein politischer Erfolg, wenn das Panel der ersten Instanz feststellt, dass die USA die Regeln verletzt haben. Allerdings dauert so ein Schiedsverfahren mindestens ein Jahr.
Möglicherweise wird die EU parallel dazu bereits eigene Zölle gegen die USA verhängen, um Gegendruck auszuüben. Solche Maßnahmen vor Abschluss der Streitschlichtung sind nach den WTO-Regeln eigentlich nicht vorgesehen. Die EU wird dann aber wohl argumentieren, dass die USA ja das WTO-System sabotiert und sich [3][deshalb nicht auf das übliche Vorgehen berufen kann].
2 Apr 2025
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