taz.de -- Forschung zu Klimabewegung: Wie radikale Gruppen der Klimabewegung nutzen
Gemäßigte Protestgruppen profitieren von ihren radikalen Pendants, zeigt eine Studie. Zwischen Unterstützung und Polarisierung verläuft ein schmaler Grat.
Aktivist*innen der Letzten Generation, die jüngst eine [1][Umbenennung angekündigt hat], wurde immer wieder vorgeworfen, der Klimabewegung mehr zu schaden als zu nützen. Umso spannender ist das Ergebnis einer britischen Studie, [2][veröffentlicht in der Fachzeitschrift Nature Sustainability]: Der öffentlichkeitswirksame, gewaltfreie und störende Protest einer radikalen Gruppe – die Studie untersuchte [3][„Just Stop Oil“ in Großbritannien], vergleichbar mit der Letzten Generation – kann die Unterstützung für moderatere Klimaschutzgruppen – in der Studie waren das die „Friends of the Earth“ – erhöhen.
Die Studie
Die Forscher*innen des Social Change Lab in Cardiff fanden durch repräsentative Bevölkerungsumfragen vor und nach einer einwöchigen Protestaktion von Just Stop Oil heraus: Je bewusster die Befragten diese Aktion wahrnahmen, umso mehr unterstützen sie danach Friends of the Earth. Die Unterstützung für die gemäßigtere Gruppe stieg in dem Zeitraum von 50 auf knapp 54 Prozent.
Daran wird der „Effekt der radikalen Flanke“ sichtbar. Der gilt als positiv, wenn eine radikale Gruppe die Unterstützung für gemäßigtere Gruppen der gleichen Bewegung erhöht. Negativ fällt er aus, wenn die Unterstützung für diese sinkt.
Dem liegt ein psychologischer Prozess zu Grunde: Moderatere Gruppen erscheinen im Gegensatz zu einer radikaleren Gruppe „vernünftiger“. Und da Menschen dazu tendieren, sich selbst als eher vernünftig einzuschätzen und sich mit ihnen ähnlichen Personen zu identifizieren, steigt auch ihre Unterstützung für eine als vernünftig wahrgenommene Gruppe. Die Studie deutet allerdings auch darauf hin, dass Personen, die dem Klimaschutz eher skeptisch gegenüberstehen, nach radikalen Protestaktionen klimapolitische Maßnahmen stärker ablehnen als vorher.
Was bringt’s?
Der Effekt der radikalen Flanke verleiht der unbeliebten Letzten Generation gerade wegen ihrer Ablehnung, die sie beim Großteil der Gesellschaft auslöst, eine neue, positive Bedeutung. Allerdings sei an dieser Stelle erwähnt, dass einer der Studienautor*innen, der auch der Gründer des Social Change Lab ist, laut dessen Webseite „mehrere Jahre“ soziale Bewegungen aufgebaut hat, „um den Klimawandel zu bekämpfen“. Dabei hat er auch an der Strategie [4][von Extinction Rebellion] mitgewirkt.
Für die Überlegung von Bewegungen, welche Formen zivilen Ungehorsams sie wählen sollten, identifizieren die Forschenden zudem zwei Risiken. Radikale Taktiken können den sogenannten Backfire-Effekt auslösen und damit eine gesellschaftliche Polarisierung verstärken. Außerdem können sie zu verstärkter Repression führen, die letztlich die gesamte Bewegung einschränkt. Wie im vergangenen Jahr in Großbritannien, wo das Parlament als Folge von Klimaprotesten das Demonstrationsrecht verschärfte.
4 Jan 2025
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