taz.de -- Winterlicher Frost: Sch(n)ee war’s

Mit Schnee ist alles schöner. Nur schneit es aktuell immer seltener, und wenn, bleibt kaum etwas liegen. Über Wintereuphorie und schwindenden Frost.
Bild: Als noch richtig Winter war: Schnee in Oberhausen im Ruhrgebiet, 2015

Zwei gegen zwei stehen wir uns gegenüber. Meine beiden jüngeren Geschwister, der damalige Freund meiner Schwester und ich. Knapp an meinem Ohr vorbei fliegt ein Schneeball, ich pfeffere einen zurück. Daneben. Mist. Richtig gut klappt das mit dem Rennen nicht. Dafür ist die Schneedecke auf den Bergen der Rhön zu tief. Dann eben wegducken, und dann heißt es ganz plötzlich: alle gegen alle.

Es war der perfekte Tag im Schnee. Schon als wir von der Autobahn runterfuhren, schien die Welt wie verwandelt. Auf den Ästen der Tannen und kahlen Bäume türmten sich die Flocken. Am Berg konnten wir kaum mehr als hundert Meter sehen, danach verschwand die weiße Winterwelt in weißem Nebel. Wir sausten mit dem Schlitten den Berg hinunter, warfen uns mit wedelnden Armen in den Schnee und hinterließen Engelsspuren. Sogar einen Schneemenschen haben wir gebaut.

Zugegeben: Ganz perfekt war er nicht. Als Arme ragten zwei dünne Zweige aus ihm, aus Tannengrün formten wir Haare, die in alle Richtungen abstanden.

Das war im Dezember 2020, in diesem Coronawinter erlebte ich das letzte Mal so richtig Schnee. Als dann zwei Monate später im Februar auch noch ein Schneesturm ganz Leipzig lahmlegte, wo ich damals studierte, schlüpfte ich frühs um sechs in die Stiefel und stapfte noch im Morgengrauen durch die leeren Straßen. Kurz stand die Welt auf eine gute Weise still und ich konnte es genießen.

Schnee ist, wenn Winter Spaß macht

Ich liebe Schnee! Nichts anderes reißt mich so sehr aus dem trüben Grau der Wintertage und schenkt mir kleine Momente des Glücks. Die beschneiten Flächen reflektieren auch das geringste Licht und setzen der Dunkelheit etwas entgegen, überstrahlen sie. Schnee, das ist, wenn Winter Spaß macht.

Nur wie viel werden wir davon noch haben?

Das Gefühl, dass die verschneiten Tage rarer werden, bestätigt nun auch eine [1][neue Auswertung von Climate Central], einer gemeinnützigen Forschungsorganisation aus den USA. Die Autor:innen haben für 123 Länder der Nordhalbkugel untersucht, wie sich der Klimawandel auf die Anzahl der Frosttage auswirkt. Dafür haben sie Daten aus den Monaten Dezember bis März von 2014 bis 2023 verwendet. Bedingt durch den Klimawandel hat Deutschland in den letzten 10 Jahren im Schnitt 18 Frosttage mit Temperaturen unter null verloren.

Immer seltener ist es [2][kalt genug für Schnee], der auch liegen bleibt. Deutschland steht damit auf Platz 7 der Länder, die am stärksten von Schneeverlust betroffen sind. „Wenn wir weiterhin Öl, Kohle und Gas verbrennen, sind wir auf dem besten Weg, den Winter, wie wir ihn kennen, zu verlieren – mit verheerenden Folgen für Mensch und Tierwelt“, warnt Kristina Dahl, die Vizepräsidentin von [3][Climate Central].

Diese Aussicht stimmt mich traurig. Nicht, weil ich weiße Weihnachten brauche. Aber euch, ihr allerschönsten Schneetage, euch werde ich vermissen.

24 Dec 2024

LINKS

[1] https://assets.ctfassets.net/cxgxgstp8r5d/1DPWJzHf6bOX2ufv05mG9C/098b0bc99b074bada0c6474bc56eb60d/Climate_Central_Lost_Winter_Global_Report_December_2024.pdf
[2] /Klimakrise-im-Winter/!5996930
[3] https://www.climatecentral.org/press-releases

AUTOREN

Adefunmi Olanigan

TAGS

Schnee
Schwerpunkt Klimawandel
Winterzeit
GNS
Baden
wochentaz
Bob

ARTIKEL ZUM THEMA

Baden trotz Kälte: Plädoyer für den Reset

Manche Leute finden Gefallen daran, im Winter im See zu schwimmen. Unsere Autorin gehört dazu – und fragt sich, warum eigentlich.

Mini-Essays der Buchpreisträgerin 2024: Das Gegenteil von Chaos

Martina Hefter schenkt uns ihre schönsten Buchstaben, Worte und Sätze für den Winter. Kleine Geschichten über das Lebendigsein.

Bob-WM in Winterberg: Schlitten kippen und rutschen

Lisa Buckwitz wird Zweierbob-Weltmeisterin. Und eine Amerikanerin stürzt viermal – und schafft am Ende doch den 20. Platz.