taz.de -- Berlin feiert 35 Jahre Mauerfall: Immerhin nicht „Wind of Change“

Kulturprojekte Berlin beschert der Stadt ein Festprogramm zum 35-jährigen Mauerfall-Jubiläum. Senatschef Kai Wegner (CDU) ist schwer begeistert.
Bild: Vier Kilometer Schilder: Installation zum Mauerfall

Berlin taz | Alle fünf Jahre lässt sich das Land Berlin nicht lumpen und richtet eine große Feier zum Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 1989 aus. Mit Kunstinstallationen, Ausstellungen, Konzerten und unzähligen salbungsvollen Reden. Am Samstag sind mal wieder fünf Jahre [1][seit dem letzten Brimborium] vergangen. Erwartet werden Hunderttausende Gäste. Die Stadt ist aus dem Häuschen.

Im Mittelpunkt der von der landeseigenen Kulturprojekte Berlin organisierten Mauersause steht eine schon jetzt zu besichtigende Plakat-Installation entlang des ehemaligen Grenzverlaufs zwischen Invalidenstraße und Axel-Springer-Straße. Oberthema der [2][vier Kilometer langen Schilderreihe]: „Haltet die Freiheit hoch!“

Alle Besucher:innen können bereits ab Freitag an der Strecke einen 340-Seiten-Hardcover-Wälzer zu 35 Jahren Mauerfall abgreifen. Der ist ebenso umsonst wie weiland die Fahrten mit der BVG für Ostberliner:innen, was bekanntlich für überfüllte Busse und Züge und bald auch schlechte Laune bei Westberliner:innen sorgte.

Aber am Jubeltag soll ja gefeiert und nicht gejammert werden. Berlins Regierender Zeremonienmeister Kai Wegner (CDU) zeigte sich dementsprechend schon am Donnerstag schwer in Stimmung und dankte Kulturprojekte Berlin, „die mit dieser Installation und einem umfangreichen Programm dieses besondere Mauerfall-Jubiläum unvergesslich machen“.

Gemeinschaftliches Mitgrölen

Dazu gehört auch das musikalische Begleitprogramm, genannt „Fest der Freiheit“. Auf fünf Bühnen, darunter am Brandenburger Tor und am Potsdamer Platz, sollen am Samstag zwischen 20 und 21 Uhr fast 700 Musiker:innen „acht ikonische Rock-Hymnen“ spielen, die Besucher:innen sind aufgefordert mitzusingen. „Das größte Mitmachkonzert, das Berlin je erlebt hat“ – drunter geht es im Anpreisetext nicht.

Die schon damals [3][unerträgliche Wendeschnulze „Wind of Change“] von den Scorpions bleibt uns zwar erspart. Das als Abschluss geplante Mitgrölen von Marius Müller-Westernhagens „Freiheit“ macht es aber auch nicht besser. Immerhin gibt es dazu ein großes Feuerwerk.

Für alle, die am Jubiläumstag selbst noch nicht genug bekommen haben vom Mauerfallgedenken, geht es am Sonntag weiter beim Demokratiefest auf dem ehemaligen Stasi-Gelände in Lichtenberg. Geboten werden Workshops, Zeitzeug:innengespräche und Führungen. Als Grande Finale gibt es ab 20 Uhr ein [4][kostenloses Konzert von Pussy Riot].

Der Aktionstag steht unter dem Motto „Revolution – und dann?“ Gute Frage. Zumindest im Fall des Umbruchs in der DDR vor 35 Jahren gerieten die treibenden Kräfte aus der Bürger:innenbewegung jedenfalls extrem schnell ins Hintertreffen.

8 Nov 2024

LINKS

[1] /Berlin-feiert-30-Jahre-Mauerfall/!5635266
[2] /Die-Wochenvorschau-fuer-Berlin/!6046431
[3] /Investigativer-Podcast-Wind-of-Change/!5683675
[4] /Pussy-Riot-fuer-Ukraine/!5901683

AUTOREN

Rainer Rutz

TAGS

Kai Wegner
Mauerfall
Jubiläum
Pussy Riot
Antisemitismus
DDR
DDR
Mauerfall
Stolpersteine
Berliner Mauer

ARTIKEL ZUM THEMA

Gelder für Kampf gegen Antisemitismus: Einfach mal selbst loben

Die Kulturverwaltung zeigt sich mit der Verteilung der Gelder für den Kampf gegen Antisemitismus hochzufrieden – zum Unverständnis der Opposition.

9. November 1989 in der taz-Redaktion: Als Schabowski sprach

Taz-Korrespondent Erich Rathfelder erinnert sich an den Abend, als die Mauer fiel: Angst vor falschen Schlagzeilen, Bier am Checkpoint Charlie und lächelnde Vopos.

Mauerfall am 9. November 1989: Was wurde nur aus den Freudentränen?

35 Jahre nach dem Mauerfall trinkt niemand mehr Rotkäppchen auf die deutsche Einheit. 13 Gedanken zum sogenannten Einheitstaumel.

Die Wochenvorschau für Berlin: Dabei sein ist alles

Auch in Berlin wird die US-Wahl mit Spannung erwartet. Begangen werden darüber hinaus die Jahrestage von Mauerfall und Reichspogromnacht.

Gedenken an Mauerfall und Pogromnacht: Steine, die Geschichten erzählen

Eva von Schirach fragt für ihr Projekt „Mir fällt ein Stein vom Herzen“ danach, was Menschen mit den Steinen machen, die ihnen im Leben begegnet sind.

Souvenirs am Checkpoint Charlie: Verkaufsschlager Mauerbröckchen

Steine der Berliner Mauer werden am Checkpoint-Charlie an jeder Ecke verkauft. Doch sind die Brocken wirklich echt?