taz.de -- Technolabelmacher Szepanski ist tot: Tanzen mit Deleuze

Achim Szepanski erkannte früh die politische Funktion von Rave und veröffentlichte visionäre elektronische Musik. Nachruf auf einen rastlosen Linken.
Bild: Achim Szepanski (1957–2024)

Von heute aus mag es weit weg erscheinen, doch Anfang der 1990er krempelte Techno einige der bis dahin geltenden Vorstellungen davon um, was Musik sein kann. Plötzlich brauchte es zum Tanzen nicht mehr als Beat und Bass, Vorurteile gegen „Maschinenmusik“ ließen sich durch den Erfolg von Raves empirisch widerlegen. [1][Man feierte die Befreiung von Körpern durch den aufs Nötigste reduzierten Rhythmus.]

1991 gründete der Frankfurter Achim Szepanski, der eigentlich über den Philosophen Michel Foucault arbeiten wollte, das Label Force Inc. Music Works. [2][Für ihn waren dabei gesellschaftskritische Aspekte wichtiger als das „bloße“ Feiern, Techno hatte für ihn eine politische Funktion.]

Produzenten wie Alec Empire veröffentlichten bei ihm und [3][Wolfgang Voigt alias Love Inc., der mit dem Label Kompakt bald selbst eine Techno-Institution ins Leben rief].

Antiessentialistischer Rave

In den Folgejahren entfernte sich jene Musik, für die Szepanski sich interessierte, mehr und mehr von Dancefloor-Konventionen. [4][1994 startete er dann das Label Mille Plateaux, benannt nach dem Poststrukturalismus-Klassiker von Deleuze und Guattari].

Störgeräusche von Computern und damit Produktionsbedingungen elektronischer Musik wurden zum ästhetischen Schwerpunkt, die Reihe „Clicks & Cuts“ zum Namensgeber eines Genres. Bis die Pleite des Indie-Vertriebs EFA auch Force Inc. und seine Ableger 2004 in die Insolvenz trieb.

Danach gab es mehrere Anläufe, die Labels weiterzubetreiben. Mille Plateaux, 2018 von Szepanski erneut gestartet, veröffentlichte bis zuletzt Alben, oft nur als Download. Nebenbei versuchte er sich als Romancier und kapitalismuskritischer Theoretiker. Im Verlag des ehemaligen RAF-Mitglieds Karl-Heinz Dellwo erschienen mehrere Bände von ihm. Jetzt ist Achim Szepanski, der 1957 geboren wurde, am Sonntag gestorben.

25 Sep 2024

LINKS

[1] /Archiv-Suche/!3207872&s=Achim+Szepanski&SuchRahmen=Print/
[2] /Archiv-Suche/!1320351&s=Achim+Szepanski&SuchRahmen=Print/
[3] https://wolfgang-voigt.com/de/musik/musikprojekte/gas/gas-zauberberg-cd/
[4] /Archiv-Suche/!1417991/

AUTOREN

Tim Caspar Boehme

TAGS

Rave
Nachruf
Frankfurt am Main
taz Plan
taz Plan
wochentaz
Elektronik
Elektronik

ARTIKEL ZUM THEMA

Neue Musik aus Berlin: Mit sehr feinem Pinsel

Der Pianist Nuron Mukumi widmet sich den Werken des englischen Komponisten und Klaviervirtuosen York Bowen. Mukumis Spielweise ist eine Entdeckung.

Konzerttipps für Berlin: Die beste Band der Welt

Es gibt reichlich viel Pop diese Woche. Einerseits. Denn die Stars der improvisierten Musik spielen ebenso auf.

100 Jahre Jean-François Lyotard: Es gibt kein letztes Urteil

Vor 100 Jahren wurde Jean-François Lyotard geboren. Als Philosoph suchte er nach dem Teil des Menschen, der sich seiner Beherrschung entzieht.

Britischer Elektronikproduzent Mark Fell: Geisterfahrer des House

Gegenwartsbritzeln: Der Brite Mark Fell experimentiert beim Festival „Aggregate“ in der Berliner Gedächtniskirche mit einer elektronischen Orgel.

KI-Konzeptalbum von Mouse On Mars: Humanismus kickt die Klangelemente

Das Weltall sind wir: Das Berliner-Elektronikduo Mouse On Mars macht mit seinem neuen Album „AAI“ Künstliche Intelligenz zur Anarcho-Utopie.