taz.de -- Kinotipp der Woche: Neue Einstellung

Das Arsenal widmet sich mit den 60er Jahren einer experimentierfreudigen Phase des japanischen Kinos, in der auch das Samurai-Genre neu erzählt wurde.
Bild: Szene aus Masaki Kobayashis „Seppuku“ von 1962

Die ganz große Neugier auf das japanische Kino ist in den letzten Jahren ein wenig verflogen. Seit dem umwerfenden Erfolg des mit mehreren Oscars prämierten Sozialdramas „Parasite“ (2019) blickt man eher gespannt auf die südkoreanische Filmindustrie. Auch im Westen gefeierte Regisseure wie Takeshi Kitano oder Takasi Miike produzieren zwar immer noch fleißig Filme, aber so richtig aufmerksam werden diese zumindest bei uns kaum noch rezipiert. Abgesehen von Mangas, die überall in der Welt gut laufen, wirkt Japan wieder als das Land, dessen immer noch reichhaltige und oftmals auch bizarr wirkende Filmkultur einem nicht so einfach auf dem Silbertablett im nächstgelegenen Multiplex-Kino serviert wird.

So war das letztlich schon immer mit dem Filmschaffen aus Nippon. Akira Kurosawas Werk wurde auch im Westen groß gefeiert und zig Hollywood-Regisseure gaben sich extrem beeinflusst von diesem. Und „Im Reich der Sinne“ aus dem Jahr 1976 von Nagisa Oshima wurde auch in Deutschland zu einem bis heute unvergessenen enormen Skandalfilm (ein abgeschnittener Penis war für manche dann doch einfach zu viel). Aber was da sonst noch so lief in Japan in den Fünfzigern und vor allem in den Sechzigern, davon bekamen damals nur wenige außerhalb des Inselstaats etwas mit. Dabei lässt sich nach Meinung der Kuratoren des Berliner Filmkunstkinos Arsenal besonders aus dieser Zeit viel entdecken, auch aus heutigem Blickwinkel.

Deswegen gibt es in dem Kino den ganzen Oktober über die Reihe mit dem selbsterklärenden Titel „Zwischen Golden Age und Nouvelle Vague: Neue Blicke auf die japanische Filmgeschichte“. Gezeigt werden hier hauptsächlich Filme aus genau diesen Sechzigern, in denen sich viele japanische Regisseure einerseits auf die eigene Geschichte und Filmtradition beriefen, sich aber auch beeindruckt von der französischen Nouvelle Vague zeigten, die sich aufgemacht hatte, erstarrte Konventionen aller Art aufzubrechen.

Das zu der Zeit moderne Japan wird etwa in „Hatsukoi: Jigoku-Hen“ (1968) von Susumu Hami gezeigt. Das Tokio, in das man hier eintaucht, ist jedoch ein Moloch voller Gewalt und sexueller Obsessionen, das die Protagonisten des Films mit Haut und Haaren verschlingt. Gleichzeitig entstehen in dieser Periode in Japan aber auch jede Menge des bereits klassisch gewordenen Genres Samurai-Film, eine Art Pendant zu den Western Hollywoods.

Und so, wie in den Sechzigern die klassischen Themen des Western mit dem kritischem Blick New Hollywoods neu variiert wurden, unterzog man in Japan die althergebrachten Themen rund um die umherziehenden Schwertkämpfer einer Neuinterpretation. Kurosawa hat auch in dieser Zeit ein paar seiner bekanntesten Samurai-Filme gedreht, aber an die kommt man relativ leicht ran. Also zeigt das Arsenal lieber einen Film wie „Seppuku“ (1962) von Masaki Kobayashi, weit weniger populär als die Filme Kurosawas, nichtsdestotrotz aber auch ein absoluter Klassiker des Genres.

Wie hier in Rückblenden die irrwitzigen Geschichten zweier Samurais erzählt werden, die durch den Ehrenkodex eines um seinen guten Ruf bedachten Clans in dramatische Nöte geraten, ist sagenhaft. Kobayashi kritisiert sinnlose Rituale und diejenigen, die auf die Tradierung einer Gepflogenheit wie Seppuku, eine Art ritualisierten Selbstmord zum Erhalt der eigenen Ehre, pochen.

Der Film ist überaus grausam und blutig, gleichzeitig aber voller Poesie und eindrucksvollen Kameraeinstellungen. Letztere lassen sich besonders bei den Kampfszenen bewundern, von denen es – wir sprechen hier eben immer noch von einem echten Samurai-Film – doch so einige gibt.

28 Sep 2024

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Andreas Hartmann

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