taz.de -- Pestizide mit Glyphosat bleiben erlaubt: Özdemir befürchtet sonst Klagen

Agrarminister Özdemir stoppt das ab 1. Januar vorgesehene Verbot von glyphosathaltigen Pestiziden. Dabei hatte das der Koalitionsvertrag vorgesehen.
Bild: Das Anwendungsverbot von Glyphosat wurde erstmal gestoppt

Berlin taz | Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) hat die deutsche Zulassung von Pestiziden mit dem umstrittenen Wirkstoff [1][Glyphosat] um ein halbes Jahr verlängert. Das geht aus einer [2][Verordnung] hervor, die am Freitag im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden ist. Damit reagiere er darauf, dass die EU-Kommission den Wirkstoff kürzlich bis 2033 genehmigt hat, teilte Özdemir mit. Ihm sei nichts anderes übriggeblieben, als das von der Vorgängerregierung zum 1. Januar 2024 vorgeschriebene Anwendungsverbot von Mitteln mit Glyphosat zu stoppen. Andernfalls hätten ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission und Klagen etwa von Herstellern in Deutschland gedroht, so Özdemir.

Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff. Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation stufte ihn 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ ein – mit Glyphosat gefütterte Säugetiere hatten Tumore entwickelt. In den USA verurteilten daraufhin mehrere Gerichte einen der Hersteller, den Chemiekonzern Bayer, zu hohen Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre Krebserkrankung auf den Unkrautvernichter zurückführen.

Bayer beruft sich dagegen auf verschiedene Zulassungsbehörden, die Glyphosat als sicher einstufen. Das Gift tötet so gut wie alle Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern als Gefahr für die Artenvielfalt.

Aus diesem Grund gibt es verschiedene Einschränkungen für den Einsatz. Deutschland untersagt zum Beispiel, glyphosathaltige Pestizide in Wasserschutzgebieten zu verwenden. Diese Beschränkungen würden jetzt weiter gelten, erklärte Özdemir. „Wir werden prüfen, welche weiteren Möglichkeiten es gibt, die Anwendung von Glyphosat wirksam einzuschränken“, so der Grüne.

Veto der FDP

[3][Sein Ministerium] nimmt dabei nach eigenen Angaben „die Anwendung durch nicht professionelle Nutzer in Klein- und Hausgärten“ und „die flächige Anwendung“ auf Wiesen und Weiden in den Blick. Die neue Regelung soll die nun bis 30. Juni 2024 geltende Verordnung ablösen. Dann soll es eine längerfristige Regelung geben.

Özdemir verwies auf die im Ampel-Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarung, Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt zu nehmen. „Ich will unserer Koalitionsvereinbarung zu Glyphosat trotz EU-Genehmigung so weit wie möglich nachkommen“, sagte der Minister. Glyphosat schade „ohne Zweifel“ der Artenvielfalt.

Die FDP sieht das jedoch anders. Deshalb habe sich Deutschland bei der entscheidenden [4][EU-Abstimmung im November] nicht gegen eine weitere Zulassung des Wirkstoffs stimmen können, sondern sich enthalten müssen, verteidigte sich Özdemir. Das trug dazu bei, dass es keine ausreichende Mehrheit unter den Mitgliedstaaten gab, um den Zulassungsvorschlag der EU-Kommission zu stoppen.

15 Dec 2023

LINKS

[1] /Schwerpunkt-Glyphosat/!t5008469
[2] https://www.recht.bund.de/bgbl/1/2023/360/VO.html
[3] https://www.bmel.de/SharedDocs/FAQs/DE/faq-glyphosat/FAQ-glyphosat_List.html
[4] /Neue-EU-Zulassung-angekuendigt/!5969939

AUTOREN

Jost Maurin

TAGS

Schwerpunkt Glyphosat
Schwerpunkt Pestizide
Schwerpunkt Bayer AG
Cem Özdemir
Landwirtschaft
Schwerpunkt Glyphosat
Schwerpunkt Artenschutz
Schwerpunkt Klimawandel
Haushalt
Schwerpunkt Glyphosat
Schwerpunkt Glyphosat
Schwerpunkt Glyphosat

ARTIKEL ZUM THEMA

Neue Tierversuche: Nur wenig Glyphosat – trotzdem Krebs

Das meistverkaufte Pestizid löste Forschern zufolge in einem Tierversuch auch in niedrigen Dosen mehrere Krebsarten aus. Muss die EU es verbieten?

Studie zu Learning by Chatting: Emojis fehlt die Diversität

Wo bleibt das Röhrenspinnen-Emoji? Die grinsende Grünalge? Die digitalen Minibilder müssen mehr Arten zeigen. Das könnte das Naturverständnis fördern.

Özdemir auf Bauerndemo: Bei Agrardiesel sind alle gegen ihn

Agrarminister Özdemir stimmt Bauern auf einer Demo zu – und wird ausgebuht. Greenpeace wirft dem Grünen Opportunismus vor.

Agrardiesel wird teurer: Die Bauern protestieren

Landwirte wollen am Montag gegen die Streichungen im Agrarbereich protestieren. Finanzminister Lindner signalisiert Gesprächsbereitschaft.

1,5 Milliarden US-Dollar: Urteil wegen Glyphosat

Nach der Verurteilung zur Zahlung von 1,5 Milliarden US-Dollar will Bayer in Berufung gehen. Das Urteil ist nicht der erste juristische Rückschlag.

Neue EU-Zulassung für Glyphosat: Gift für die Grünen

Agrarminister Özdemir hat sich im Streit über die Glyphosat-Zulassung kampflos der FDP ergeben. Dabei ist das Pestizid ein großes Umweltproblem.

Neue EU-Zulassung angekündigt: Noch mal zehn Jahre Glyphosat

Die EU-Kommission kündigt an, das umstrittene Pestizid weiter zuzulassen. Denn die Mitgliedstaaten haben kein Veto eingelegt – auch Deutschland nicht.