taz.de -- Urteil zur Haasenburg-Schließung: Nur ein formaler Sieg

Die Haasenburg GmbH gewann auf Grundlage eines Gesetzes, das ihretwegen geändert wurde. Brandenburgs Bildungsministerium sollte für Berufung kämpfen.
Bild: Die Verhandlung zum Klageverfahren der Haasenburg GmbH beginnt

Das Urteil im Haasenburg-Prozess ist für frühere Insassen sicher ein Schock. Nachdem sie als Kinder und Jugendliche jahrelang litten, hatte ihnen 2013 eine Untersuchungskommission endlich geglaubt. Die Heime waren dicht. Und nun das. Die Haasenburg [1][habe die Betriebserlaubnis zu Unrecht verloren], urteilte am Donnerstag das Verwaltungsgericht Cottbus. Auflagen hätten gereicht.

Aber es war gut, dass Jugendministerin Martina Münch (SPD) 2013 [2][diesen radikalen Schritt] machte. Das Jugendhilferecht, der Paragraf 45, war an dieser Stelle damals zu trägerfreundlich formuliert. Auch wegen der Haasenburg wurde das geändert. Der Sieg des Betreibers ist also ein formal juristischer. Jetzt muss Münchs [3][Nachfolger Steffen Freiberg] (SPD) ebenso mutig sein und vor dem Oberverwaltungsgericht für eine Berufung kämpfen. Denn viel spricht dafür, dass auch nach dem alten Gesetz die Schließung rechtens war.

Tückisch war, dass das Verfahren so spät kam. Seltsam auch, wenn das Gericht neue Punkte einführt und dem Ministerium nicht mehr Chance für eine Schriftstellungnahme gibt.

Doch auch das Ministerium machte Fehler. Es hätte [4][viel früher eine Untersuchungskommission einsetzen] sollen, statt im Frühjahr 2013 noch mal eine frische Betriebserlaubnis zu erteilen.

Viele Kinderseelen geschont

Geändert hat sich damals, dass Betroffene reden. „[5][Alle sagen, Scheiße ich will hier raus]“, sagte der erste Jugendliche, den die taz interviewte. Die Stimme der Betroffenen ist nicht mehr stumm zu kriegen.

Eine wichtige Kritik der Untersuchungskommission lautete, dass die Kinder nur als Objekte von Erziehung und nicht als Subjekte wahrgenommen wurden. Das widerspricht dem Jugendhilfegesetz. Und körperliche Gewalt in der Erziehung ist verboten. Das gilt auch für Heime.

Nicht gerade kompetent wirkt ein Verwaltungsgericht, das von „schwieriger Klientel“ spricht und vorgibt, von Pädagogik keine Ahnung zu haben. Der Sieg des Betreibers ist nicht so erheblich, wie er in den Schlagzeilen wirkt.

Nun muss man schauen, ob und wie ein Verfahren vor dem OVG ablaufen wird. Sollte der Betreiber abermals siegen, wäre der ein- oder zweistellige Millionenbetrag an Entschädigung, zu zahlen vom Land Brandenburg, die in der Zwischenzeit geschonten Kinderseelen wert. In Hamburg, das früher die Haasenburg belegte, gibt es seither eine [6][alternative Koordinierungsstelle], die für Kinder individuelle Lösungen findet.

Dass der Betreiber neue Heime eröffnet, scheint nicht so wahrscheinlich. Jugendämter müssten sie ja belegen. Und mit „Haasenburg-Methoden“ sind heute selbst die Befürworter geschlossener Unterbringung nicht einverstanden.

25 Nov 2023

LINKS

[1] /Prozess-um-Heimschliessung/!5975194
[2] /Schliessung-der-Haasenburg-Heime/!5055500
[3] https://mbjs.brandenburg.de/aktuelles/pressemitteilungen.html?news=brandenburg_06.c.827071.de
[4] /Skandal-um-die-Haasenburg-GmbH/!5063660
[5] /Hamburger-Jugendlicher-ueber-die-Haasenburg/!5074520
[6] /Konsequenz-aus-dem-Haasenburg-Skandal/!5600444

AUTOREN

Kaija Kutter

TAGS

Schwerpunkt Haasenburg Heime
Jugendheim
Schwarze Pädagogik
Heimerziehung
Schwerpunkt Haasenburg Heime
Jugendheim
Schwerpunkt Haasenburg Heime
Schwerpunkt Haasenburg Heime
Jugendhilfe
wochentaz

ARTIKEL ZUM THEMA

Debatte nach Urteil zur Haasenburg: „Ehemalige haben keine Kraft mehr“

Brandenburgs Landtag stimmt für eine Entschädigung früherer Haasenburg-Kinder. Aber nur auf Bundesebene, deshalb sind Betroffene enttäuscht.

Schließung der Haasenburg-Kinderheime: Breite Kritik an Haasenburg-Urteil

Große Landstagsmehrheit in Brandenburg will Entschädigung der Haasenburg-Opfer. Die Heim-Schließung 2013 sei zum Schutz des Kindeswohls nötig gewesen.

Gericht zur Schließung der Haasenburg: Ein gefährliches Urteil

Wenn nicht die Haasenburg-Heime hätten geschlossen werden dürfen, welche Einrichtung dann? Das Ministerium muss nach dem Urteil in Berufung gehen.

Prozess um Heimschließung: Haasenburg gewinnt

Der Heimfirma hätte 2013 nicht die Erlaubnis komplett entzogen werden dürfen, sagt das Verwaltungsgericht. Das Ministerium prüft nun das Urteil.

Prozess um Kinderheim-Schließung: Die Haasenburg wehrt sich

Die Heime der Haasenburg GmbH wurden vor zehn Jahren wegen unzumutbarer Methoden geschlossen. Nun wird die Klage des Betreibers verhandelt.

Erzieher über Haasenburg-Heime: „Die Jugendlichen müssen böse sein“

Zwei Erzieher, die in den Heimen der Haasenburg gearbeitet haben, erzählen. Das System beruhte auf der Brechung der Persönlichkeit.