taz.de -- Proteste in Frankreich: „Maske gegen Tränengas dabei“
Beim zehnten Generalstreik gegen die Rentenreform fürchten Demonstrierende wie Polizei Gewaltbereitschaft. Präsident Macron gibt sich kompromisslos.
Paris/Berlin taz | Vielleicht ist es die letzte Demonstration gegen die Rentenreform in Frankreich, an der Héloise teilnehmen wird. Die 26-Jährige, die im Bildungsbereich arbeitet und nur ihren Vornamen nennen möchte, ist an diesem Dienstag wieder auf den Straßen der Hauptstadt Paris unterwegs. Zum zehnten Mal haben die Gewerkschaften zum Generalstreik in Frankreich aufgerufen, zum sechsten Mal ist Héloise dabei, erzählt sie.
Die Proteste hätten sich verändert, sagt sie, seit ihrem Beginn im Januar, als Staatspräsident Emmanuel Macron seine umstrittene Rentenreform ankündigte. „Es war recht friedlich, bis Macron den Paragrafen 49.3. nutzte.“ Seitdem empfände sie es als immer gefährlicher, zu den Demonstrationen zu gehen. „Ich muss mittlerweile planen, was ich zu den Protesten mitnehme – etwa eine Maske gegen Tränengas.“
[1][Der Paragraf 49.3] – mithilfe dieses umstrittenen Verfassungsartikels, der dem Präsidenten die Macht verleiht, am Parlament vorbeizuentscheiden, drückte Macron Mitte März seine Reform durch, die das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre anheben soll. Ein anschließender Misstrauensantrag zweier Oppositionsparteien gegen die Regierung Macron scheiterte.
Auch die Polizeipräsenz habe sich verändert, sagt Héloise: mehr Kräfte, mehr Kontrollen. Bereits gegen 14.30 Uhr – die Proteste am Dienstag haben eine halbe Stunde zuvor begonnen – [2][berichtet die französische Zeitung Le Monde] von 6.400 Polizeikontrollen und elf Festnahmen alleine in Paris. Und die Zahlen steigen konstant an. Innenminister Gérald Darmanin hatte bereits zuvor erklärt, dass 13.000 Beamte im Einsatz seien, fast die Hälfte davon in der Hauptstadt – eine beispiellose Zahl, so Darmanin.
Verkehrsmittel fallen aus, der Eiffelturm bleibt geschlossen
Die Gewaltbereitschaft, befürchtet Héloise, könnte nun weiter zunehmen – auf beiden Seiten. Besonders gefürchtet, so die französische Nachrichtenagentur AFP, sei der sogenannte Schwarze Block.Der Politikwissenschaftler Fabien Jobard berichtet AFP: Der harte Kern der Gruppe sei gewaltbereit und habe eine gewisse Ausbildung, die etwa Rückzugstechniken oder militärische Kommandos mithilfe von Handzeichen umfasse. Sie setzten häufig Molotowcocktails ein. Zu dieser Gruppe, sagt er, zählten aber vermutlich nur einige Hundert Menschen.
Gefährlich, so Jobard, sei auch, dass die Sicherheitskräfte auf Gewalt mit Gewalt reagierten und so zu einer Radikalisierung der Proteste beitrügen. Dass manche Franzosen und Französinnen die Proteste daher künftig nicht mehr besuchen wollten, sei deshalb absehbar, sagt Héloise, die Angst nehme eben zu.
Noch scheinen viele aber motiviert zu sein: Nicht nur in Paris wird demonstriert, sondern auch in kleineren Städten wie Nantes, Rennes oder Bordeaux. Und auch die Streikenden lassen nicht locker: Zahlreiche Verkehrsmittel fallen am Dienstag aus, wegen der Streiks in Raffinerien werden an manchen Tankstellen Benzin und Diesel knapp. [3][Selbst der Eiffelturm], Wahrzeichen der Stadt, bleibt am Dienstag geschlossen, die Auffahrt auf den Aussichtsturm ist nicht möglich.
Am Vorabend hatte Macron betont, mit den [4][Gewerkschaften ins Gespräch kommen zu wollen] – allerdings nicht über die Kernpunkte einer Reform.
28 Mar 2023
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