taz.de -- Kinotipp der Woche: Film zur Debatte

Zur Berlinale lädt die Woche der Kritik internationale Gäste zu Fachgesprächen über Vorlieben, Nischen. Dazu gibt es eine ganze Reihe Arthouse-Filme.
Bild: Kunstfilmklassiker: VALIE EXPORTs „Ein perfektes Paar oder die Unzucht wechselt ihre Haut“ von 1986

Wohin entwickelt sich das Kino? Dieser Frage wird man neben der, welcher Film im Wettbewerb unbedingt den Goldenen Bären bekommen sollte, auch auf der Berlinale nachgehen. Aber sicherlich nicht so detailliert und spezialistisch wie bei der seit 2015 parallel zum großen Publikumsfilmfestival statt findenden [1][Woche der Kritik]. Acht Tage lang werden dort hauptsächlich im Kino Hackesche Höfe Filmschaffende aus aller Welt auf Panels sitzen und teilweise ziemlich eigenwillige Themenfelder diskursiv bearbeiten. Dazu werden vor allem aktuelle Filme, aber auch welche aus dem Archiv gezeigt, allesamt Independentproduktionen und Arthouse-Ware der eher sperrigen Art.

Debattiert wird wirklich über alles nur Erdenkbare, teils über Naheliegendes, aber auch ganz schön Entlegenes. An einem Abend geht es somit über surrealistische Motive im Film, was ja immer wieder neu ein ergiebiges Diskussionsthema sein kann. Oder über das sogenannte „Mitternachtskino“, also Genrefilme aller Art, worunter sich so mancher Schmuddel, aber auch diverse Kultstreifen subsumieren lassen.

Aber wenn dann beispielsweise eine Debatte über „Träume von Räumen“ angekündigt wird, kann man sich schon fragen, was einen hier bitteschön zu erwarten hat. Wenn in diesem Rahmen eine Plauderei „über den Sinn für das Miteinander und Gegeneinander, dort wo Säugetiere und andere Lebewesen auf Gegenstände und Gebäude treffen: in Städten, im Kinosaal und darüber hinaus – bis hin zu Orten, die nur in Filmen existieren“ versprochen wird, dann liest sich das ganz schön verwurschtelt und weitgehend unkonkret. Da kann man nur hoffen, dass die geladenen Filmschaffenden, von denen sich wegen der Berlinale dankenswerterweise eh ziemlich viele in der Stadt befinden, das Beste aus dieser Diskurs-Vorgabe machen werden.

Final Girls und feministische Videokunst

Aber dass spannende Gäste für die vielen Podien gewonnen werden konnten, das lässt sich wirklich sagen. Gleich bei der Eröffnungsveranstaltung, die als einzige nicht in den [2][Hackeschen Höfen], sondern in der [3][Akademie der Künste] statt findet, wird beispielsweise die großartige französische Filmemacherin Claire Denis mit dabei sein, ein echter Regie-Star. Sie wird vielleicht von ihren eigenen Erfahrungen am Set erzählen, wenn sich darüber unterhalten wird, wie sich toxische Bedingungen bei der Produktion von Filmen noch besser als bislang vermeiden lassen.

Sara Neidorf vom [4][Final Girls Berlin Film Festival] wird außerdem an einem Abend etwas über ihre Beziehung zum Horrorfilm berichten. Und Elke Lehrenkrauss, die mit „Lovemobil“ für einen unvergessenen Skandal sorgte, weil sie die Produktion für den WDR als Dokumentarfilm deklarierte, obwohl sie in wesentlichen Teilen gescripted war, wird über Männlichkeitsbilder im Film referieren.

Das begleitende Filmprogramm ist dann so vielfältig und bunt wie hoffentlich die Diskussionen. Valie Exports feministischer Kunstfilmklassiker „Lust – Ein perfektes Paar oder die Unzucht wechselt ihre Haut“ (1986) etwa wird gezeigt, oder als Beispiel für einen modernen Mitternachtskinofilm „The Fifth Thoracic Vertebra“ (2022) von Syeyoung Park. Wobei dieser wirklich kein neuer Arthouse-Horror-Hit ist, sondern eine eher anstrengende Low-Budget-Produktion, für die sich Netflix auf der Suche nach dem neuesten Knaller aus Südkorea bestimmt nicht interessieren wird.

15 Feb 2023

LINKS

[1] https://wochederkritik.de/de_DE/
[2] https://www.hoefekino.de/#default
[3] https://www.adk.de/de/programm/?we_objectID=64870
[4] /Kinotipp-der-Woche/!5887154

AUTOREN

Andreas Hartmann

TAGS

taz Plan
Filmfestival
Schwerpunkt Berlinale
Kino Berlin
Französischer Film
taz Plan
Kino Berlin
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
taz Plan
Schwerpunkt Berlinale

ARTIKEL ZUM THEMA

Neuer Spielfilm von Claire Denis: Welch seltsames Spiel die Liebe ist

Regisseurin Claire Denis nimmt sich in „Mit Liebe und Entschlossenheit“ mit leichter Hand eines sehr französischen Filmthemas an.

Kinotipp der Woche: 40 klingende Register

Von KI bis Nosferatu: Das diesjährige Stummfilmfestival bietet eine originelle Auswahl und wird von einer echten Kirchenorgel begleitet.

Filmempfehlungen für Berlin: Keine Routine

Dominik Grafs Doku über Autor:innen im NS fokussiert auf Bücherverbrennung und Opportunismus. Bei Chantal Akerman geht es um Mutterschaft und Prostitution.

Die Wochenvorschau für Berlin: Großes Kino nach der Wahl

Die erste Wahlwiederholung der Republik ist Geschichte. Jetzt ist wieder Zeit für das richtig große Kino: Die Berlinale startet am Donnerstag.

Kinotipp der Woche: Die volle Freiheit

Zum 85. Geburtstag der feministischen Filmemacherin Ula Stöckl zeigt das Moviemento ihren Film „Sonntagsmalerei“ in einer neu restaurierten Fassung.

Programm der 73. Berlinale: Realität und Poesie im Kino

Das Programm der 73. Berlinale wurde vorgestellt. Deutschland ist stark im Wettbewerb vertreten, der Iran und die Ukraine sind präsent.